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Das Moskau-Komplott

Das Moskau-Komplott

Titel: Das Moskau-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Wasserstrahl.
     

47 Saint-Tropez, Frankreich
    Es war der Teil des Tages, den Jean-Luc am meisten mochte: die Pause zwischen Mittag- und Abendessen, in der er sich einen Pastis genehmigte und in aller Ruhe einen Schlachtplan für den Abend zurechtlegte. Als er die Liste mit den Reservierungen überflog, wusste er sofort, dass es ein anstrengender Abend würde: ein amerikanischer Rapper mit zehnköpfiger Entourage, ein in Ungnade gefallener französischer Politiker mit seiner blutjungen Braut, ein Ölscheich aus einem Emirat - ob aus Dubai oder Abu Dhabi, wusste Jean-Luc nicht mehr genau - und ein zwielichtiger italienischer Geschäftsmann, der in Saint-Tropez untergetaucht war, weil in Mailand ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden war. Doch im Augenblick war der Gastraum des Grandjoseph ein ruhiges Meer aus Tischdecken, Kristallgläsern und Tafelsilber, das frei war von jeder Störung, sah man einmal von den zwei obdachlosen Spaniern ab, die am anderen Ende der Bar friedlich tranken. Und von dem roten Audi-Cabrio, das direkt vor dem Eingang parkte und damit gegen die seit Langem geltende Straßenverkehrsordnung der Stadt verstieß, von den zahllosen Verordnungen, die das Joseph selbst erlassen hatte, ganz zu schweigen.
    Jean-Luc nahm einen Schluck von seinem Pastis und sah sich die beiden Insassen des Cabrios genauer an. Der Mann hinterm Steuer war Anfang dreißig und trug die obligatorische italienische Sonnenbrille. Er sah gut aus, mit einem slawischen Einschlag, und wirkte sehr mit sich zufrieden.
    Neben ihm saß eine Frau, einige Jahre älter, aber nicht weniger attraktiv. Ihr dunkles Haar war nachlässig zu einem Knoten hochgesteckt. Ihr Kleid sah aus, als habe sie darin geschlafen. Ein Liebespaar, kombinierte Jean-Luc. Kein Zweifel. Außerdem war er sich sicher, dass er die beiden unlängst im Restaurant gesehen hatte. Die Namen würden ihm noch einfallen. Das taten sie immer. Jean-Luc hatte diese Art von Gedächtnis.
    Die beiden wechselten noch ein paar Worte, bevor sie sich einen Kuss gaben, der noch die letzten etwaigen Zweifel darüber beseitigte, wie sie den Nachmittag verbracht hatten. Offensichtlich war es ein Abschiedskuss, denn gleich darauf stand die Frau allein auf dem sonnenbeschienenen Kopfsteinpflaster des Platzes, während der Audi davonbrauste wie ein Fluchtwagen vom Schauplatz eines Verbrechens. Die Frau sah ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war, dann drehte sie sich um und kam auf den Eingang zu. In diesem Moment erkannte Jean-Luc, dass es niemand anderes als Elena Charkowa war, die Frau des russischen Oligarchen und Partylöwen Iwan Charkow. Aber wo waren ihre Bodyguards? Und warum war ihr Haar zerzaust und ihr Kleid zerknittert? Und warum in Gottes Namen küsste sie mitten auf der Place de 1'Hotel de Ville einen fremden Mann in einem roten Audi?
    Einen Augenblick später trat sie ein, die Hüften etwas kecker schwingend als gewöhnlich, die Handtasche lässig über der Schulter.
»Bonsoir, Jean-Luc«,
flötete sie, als sei nichts Ungewöhnliches geschehen, und Jean-Luc flötete
»Bonsoir«
zurück, als habe er nicht gesehen, wie sie keine dreißig Sekunden zuvor einen blonden Herrn auf den Mund geküsst hatte. Sie stellte ihre Tasche auf den Tresen, öffnete den Reißverschluss, nahm ihr Handy heraus und wählte widerwillig eine Nummer. Sie murmelte ein paar Worte auf Russisch, dann klappte sie das Handy ärgerlich wieder zu.
    »Haben Sie einen Wunsch, Elena?«, fragte Jean-Luc.
    »Ein Schluck Sancerre wäre lieb. Und eine Zigarette, wenn Sie eine haben.«
    »Mit dem Sancerre kann ich dienen, mit der Zigarette nicht. Das ist das neue Gesetz. In Frankreich darf nicht mehr geraucht werden.«
    »Wo soll das alles noch hinführen, Jean-Luc?«
    »Schwer zu sagen.« Er musterte sie über seinen Pastis hinweg. »Geht es Ihnen gut, Elena?«
    »Mir ist es nie besser gegangen. Aber ich könnte wirklich einen Schluck Wein vertragen.«
    Jean-Luc goss großzügig Sancerre in ein Glas, das Doppelte der üblichen Menge, und stellte es vor sie auf die Bar. Sie führte es gerade an die Lippen, als mit quietschenden Reifen zwei schwarze Mercedes auf dem Platz hielten. Sie spähte über ihre Schulter, zog die Stirn kraus und warf einen Zwanziger auf die Bar.
    »Trotzdem danke, Jean-Luc.«
    »Das geht aufs Haus, Elena.«
    Sie stand auf, schwang sich die Tasche über die Schulter, blies ihm einen Kuss zu und schritt trotzig zum Eingang wie eine Freiheitskämpferin auf dem Weg zum Schafott. Als

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