Das Moskau-Komplott
einen Funken Anstand besaß. Sie zog ihre beiden Kinder ohne Iwans Hilfe groß und verbrachte ihre Tage zumeist ohne seine primitive Gesellschaft. Iwan kaufte ihr große Häuser und gab ihr haufenweise Geld, um sie luxuriös einzurichten. Dafür durfte sie ihn nie nach geschäftlichen oder persönlichen Dingen fragen. Mithilfe der NSA-Satelliten wurden Gabriel und Lavon zu Mitwissern Iwans vieler Lügen. Als er Elena weismachte, er sei in Genf bei einer Besprechung mit seinen Schweizer Bankiers, war er gerade in Paris und kümmerte sich umjekatarinas Wohlergehen. Und als Iwan Elena sagte, er sei in Düsseldorf bei einem Treffen mit einem deutschen Industriellen, weilte er in Wahrheit bei Tatjana in Frankfurt und half ihr dabei, in einem Hotelzimmer am Flughafen einen langen Zwischenaufenthalt zu verkürzen. Lavons Abscheu gegen ihn wuchs mit jeder Stunde. »Viele Frauen schließen einen Pakt mit dem Teufel«, sagte er. »Aber die arme Elena war so dumm, ihn zu heiraten.«
Eine Stunde vor Tagesanbruch, als Gabriel gerade eine unerträglich stumpfsinnige Meldung des CIA-Residenten in Angola las, steckte Lavon den Kopf zur Tür herein.
»Ich glaube, du solltest mal kommen und dir etwas anhören. «
Gabriel legte die Meldung beiseite und folgte Lavon ins Wohnzimmer. Die unpersönliche Atmosphäre einer Gästelounge war der eines studentischen Gemeinschaftsraums am Abend vor einer Abschlussprüfung gewichen. Lavon setzte sich vor seinen Laptop und spielte per Mausklick eine Serie von vierzehn abgehörten Telefongesprächen ab, bei denen Elena Charkowas Stimme zu hören war. Keines bedurfte einer Übersetzung, denn sie sprach in fließendem Englisch und jedes Mal mit demselben Mann. Das letzte Gespräch lag erst zwei Monate zurück. Gabriel hörte es sich dreimal an, dann sah er Lavon an und lächelte.
»Was denkst du?«, fragte Lavon.
»Ich denke, du hast gerade einen Weg gefunden, wie wir mit Iwans Frau ins Gespräch kommen können.«
25 Georgetown
»Sie ist ganz besessen von Mary Cassatt.«
»Ist das eine von Iwans Freundinnen?«
»Sie ist Malerin, Adrian. Eine impressionistische Malerin. Und eine ziemlich gute obendrein.«
»Seien Sie etwas nachsichtig mit mir, Gabriel. Seit 9/11 bin ich ziemlich eingespannt. Ich kann Ihnen haarklein alles über die hundert gefährlichsten Terroristen der Welt erzählen, aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie der letzte Film hieß, den ich gesehen habe.«
»Sie sollten öfter ausgehen, Adrian.«
»Sagen Sie das der al-Qaida.«
Sie schlenderten einen geschotterten Treidelpfad am Chesapeake-Ohio-Kanal entlang. Es war früh am Morgen, und die Sonne musste sich erst noch durch die dünne graue Wolkendecke brennen, die in der Nacht über Washington aufgezogen war. Zu ihrer Linken strömten die grünen Wasser des breiten Potomac River lustlos in Richtung Georgetown, während zu ihrer Rechten rivalisierende Autofahrer auf der Canal Road demselben Ziel entgegenrasten. Gabriel trug ein Paar alte Jeans und einen schlichten weißen Pullover, Carter einen Trainingsanzug aus Nylon und ein Paar makellose Laufschuhe.
»Ich nehme an, Mary Cassatt war Französin?«
»Eigentlich Amerikanerin. Sie zog 1865 nach Paris und geriet in den Bann der Impressionisten. Ihre Spezialität waren zarte Porträts von Frauen und Kindern - faszinierend, denn sie selbst war unverheiratet und kinderlos. Für meinen Geschmack sind ihre Arbeiten ein bisschen zu sentimental, aber bei einigen Sammlern stehen sie hoch im Kurs.«
»Wie bei Elena Charkowa?«
Gabriel nickte. »Soweit wir aus den von der NSA abgehörten Telefonaten wissen, besitzt sie bereits mindestens sechs Cassatts und ist ständig aut der Suche nach weiteren. Sie kennt jeden wichtigen Händler in Paris, London und New York mit Vornamen. Außerdem hat sie ausgezeichnete Kontakte zu den großen Auktionshäusern, so auch zum Direktor der Abteilung für impressionistische und moderne Kunst bei Christie's in London.«
»Kennen Sie ihn?«
»In meinem anderen Leben.«
»Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie Ihre berufliche Beziehung neu beleben?«
»Eins nach dem anderen, Adrian.«
Carter ging, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und den Blick zu Boden gerichtet, einen Moment lang schweigend weiter. »Ich hatte Gelegenheit, Elenas Akte zu lesen. Sie ist, gelinde gesagt, eine interessante Frau. Sie stammt aus Leningrad. Wussten Sie das, Gabriel?«
»Ja, Adrian, das wusste ich.«
»Ihr Vater war ein hohes Tier in der Partei.
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