Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
Müller, der untersetzte Mann, der ihn und seine Männer am Vortag am Flughafen abgeholt hatte, langsamer und deutlicher. »Ich habe Ihre Ziele«, meldete er. »Ich wiederhole: Ich habe Ihre Ziele gefunden.«
Lange atmete aus. Das Warten war vorüber. Er beugte sich durch das offene Fenster an der Fahrerseite des schwarzen BMW und nahm eine Kopie der Faxliste zur Hand, die sie vor zwei Stunden bekommen hatten. »Lesen Sie vor.«
Während Müller ihm die amtlichen Kennzeichen und die Modelle der Fahrzeuge nannte, die er bei der Auskundschaftung gesehen hatte, verglich der Ex-Stasi-Offizier sie mit der Liste der in Berlin auf die CIA zugelassenen Autos und Lastwagen. Die Überreinstimmung war perfekt. Er faltete das Fax zusammen und steckte es in seine Jackentasche. Dann breitete er einen detaillierten Stadtplan aus. »Exzellente Arbeit. Also, wo genau finde ich die Amerikaner?«
Lange lauschte aufmerksam und markierte die Positionen, die der untersetzte Mann ihm durchgab, mit einem Rotstift. Dann studierte er kurz die Karte, um die verschiedenen Entfernungen, unterschiedlichen Herangehensweisen und Fluchtrouten abzuschätzen. Schließlich kristallisierte sich ein Plan heraus. Schnell und schmutzig, dachte er kalt. Aber je schneller, desto besser.
Er wandte sich an seine Kollegen. »Pripremiti. Nama imati jedan cilj! «, knurrte er auf Serbisch. »Macht euch bereit. Wir haben ein Ziel!«
Auf diesen Befehl hin drückten die drei Männer mit den finsteren Gesichtern, allesamt Veteranen der serbischen Staatssicherheit und an den brutalen ethnischen Säuberungsaktionen in Bosnien und im Kosovo beteiligt, ihre Zigaretten aus und standen auf. Lange öffnete den Kofferraum des BMW und händigte rasch Ausrüstung und Munition aus. Danach legten der ehemalige Stasi-Offizier und die handverlesenen Mitglieder seiner Killertruppe ihre Arbeitskleidung und ihre Waffen an.
Obwohl es noch Nachmittag war, dämmerte es bereits. Dichte bleierne Wolkenmassen verhängten den Himmel. Starke Böen aus dem Osten trieben immer wieder neues Schneegestöber über die beinahe menschenleeren Straßen und Bürgersteige des Grunewald-Viertels. Der auffrischende Wind heulte durch die nahen Wälder und wehte den Schnee von den steilen Dächern der von Bäumen umringten Häuser.
Um sich warm zu halten, ging Randi Russell schnellen Schrittes südwärts über die Clayallee. Diese breite Straße, die entlang der östlichen Grenze des Grunewald-Forstes verlief, war nach dem amerikanischen General Lucius Clay benannt, der in den ersten Tagen des Kalten Krieges die Berliner Luftbrücke angeordnet hatte, um die Stadt vor dem Verhungern zu retten. Nachdem sie sich
in der ruhigen Nachbarschaft von Kesslers Villa umgesehen hatte, war sie nun in modischer Skijacke, schwarzem Rollkragenpullover und Jeans auf dem Rückweg zum CIA-Überwachungswagen.
Bislang war nichts Besonderes passiert. Ihr Beobachtungsposten vor der Villa meldete im gesamten Gebiet nur normalen Verkehr. Der BKA-Beamte befand sich noch im Haus. Während der Tag verging, ohne dass Wulf Renke sich noch einmal meldete, wurde Kessler jedoch immer nervöser. Die Abhörgeräte, die sie installiert hatte, registrierten ständiges Auf- und Abgehen, gelegentliche Flüche und häufiges Klirren von Flaschen und Gläsern in der Nähe seiner gut bestückten Hausbar.
Erneut versuchte Randi, sich das seltsame Schweigen Renkes zu erklären. Hatte der größenwahnsinnige Waffenspezialist beschlossen, sich den Aufwand zu sparen und Kessler seinem Schicksal zu überlassen? Je mehr Zeit verging, ohne dass sich in oder vor dem Haus etwas regte, desto wahrscheinlicher erschien diese Möglichkeit. Zuallererst war Renke stets auf die eigene Sicherheit bedacht gewesen. Echte Loyalität gegenüber einer Person, einem Land oder einer Ideologie hatte er nie gezeigt. Der Wissenschaftler würde Kessler nur retten, wenn er darin einen Vorteil für sich selbst sah. Und mittlerweile musste Renke annehmen, dass sein langjähriger Beschützer beim BKA engmaschig überwacht wurde. Wenn sie mit dieser Vermutung Recht hatte, überlegte Randi weiter, brachte es etwas, sich Kessler selbst zu schnappen? Konnte sie dem Kerl irgendwelche nützlichen Informationen entlocken, ehe man in Langley die Nerven verlor und ihr befahl, ihn seinen eigenen Leuten auszuliefern?
Als sie sich vorstellte, wie die risikoscheuen CIA-Bürokraten wohl reagieren würden, wenn eine ihrer Feldagentinnen einen Beamten der deutschen Bundespolizei
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