Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
allgemeinen Qualität des verfügbaren Nachrichtenmaterials besonders zufrieden war, stand inzwischen fest, dass eine zunehmende Zahl der am besten ausgestatteten und trainierten Heeres- und Flugeinheiten in Russland von den Lageplänen des amerikanischen Verteidigungsministeriums vollständig verschwunden waren.
»Was heißt das genau?«, fragte Castilla.
»Grob gesagt, Mr. President, haben wir nicht die leiseste Ahnung, wo diese Divisionen und andere Kampfeinheiten sich im Augenblick befinden, wohin sie beordert sind und was sie eventuell vorhaben.«
»Von welchen Zahlen reden wir?«
»Mindestens 150000 Soldaten, tausende Panzerfahrzeuge und fahrbare Artilleriegeschütze und mehrere hundert Jagdflugzeuge und Bomber«, zählte Brose grimmig auf.
»Genug um einen richtigen Krieg anzufangen«, sagte der Präsident langsam.
»Eventuell sogar mehrere Kriege«, gestand Brose. »Zumindest angesichts der relativ geringen Kampfstärke der angrenzenden Länder. Von allen ehemaligen Sowjetrepubliken hat nur die Ukraine einigermaßen starke und gut ausgerüstete Heeres- und Luftstreitkräfte.«
»Das hätte sie, wenn ihre besten militärischen Führer nicht von dieser verdammten Krankheit betroffen wären«, gab Castilla zu bedenken.
Brose wiegte nachdenklich den großen Kopf. »Ja, sechs wichtige Kommandanten sind krank, das stimmt. Nach allem, was ich gehört habe, sind die Ukrainer im Moment so konfus, dass sie wohl keine große Gegenwehr leisten könnten. Und der Rest?« Er zuckte die Achseln. »Selbst unter den allerbesten Bedingungen können die Kasachen, Georgier, Aserbaidschaner und alle anderen nicht viel mehr als eine leicht bewaffnete Miliz aufbieten. Falls die
Russen planen, gegen sie loszuschlagen, haben diese Volksarmeen keine Chance gegen moderne Panzer und Sturmtruppen.«
»Das haben die Russen in Grosny auch gedacht«, warf Castilla ein. Er spielte auf den ersten größeren Kampf im anhaltenden Tschetschenien-Krieg an, bei dem die überheblichen russischen Truppen beim Sturm auf die Stadt von koordinierten Hinterhalten der tschetschenischen Rebellen aufgerieben worden waren. Um die Stadt einzunehmen, hatte es am Ende eines massiven Feldzugs bedurft, der zehntausende von Zivilisten das Leben kostete und Grosny in Trümmer legte.
»Grosny war vor mehr als zehn Jahren«, sagte der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs leise. »Seitdem haben die russische Armee und Luftwaffe viel gelernt – sowohl aus eigener Erfahrung wie auch aus der Beobachtung unserer Aktionen im Irak. Falls sie wirklich einen Krieg anzetteln, um ihre alten Territorien zurückzubekommen, werden sie aus diesen Fehlern gelernt haben.«
»Verdammt.« Castilla sah Brose über seinen Pinienholzschreibtisch hinweg direkt an. »Also gut, Admiral«, sagte er. »Was meinen Sie, wann wird der Ballon steigen – vorausgesetzt, unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigen sich?«
»Ich kann ich nur Vermutungen anstellen, Mr. President«, erwiderte der Admiral warnend.
»Da ich keine Fakten habe, gebe ich mich mit allem zufrieden, was ich bekommen kann«, erwiderte Castilla trocken.
Brose nickte. »Ja, Sir, das verstehe ich.« Angestrengt nachdenkend zog er die Augenbrauen zusammen. Einen Moment später blickte er düster wieder auf. »Meiner Ansicht nach könnten die Russen innerhalb der nächsten vierundzwanzig bis sechsundneunzig Stunden kampfbereit sein, Mr. President.«
Castilla überlief ein kalter Schauder. Die Zeit lief ihm offensichtlich schneller davon, als er gedacht hatte.
Eins der abhörsicheren Telefone auf seinem Schreibtisch schrillte. Sofort griff er nach dem Hörer. »Ja?«
Es war Fred Klein. »Colonel Smith und Ms. Devin sind noch am Leben – und wir haben Kontakt«, meldete der Leiter des Covert-One leise triumphierend. »Und außerdem haben sie anscheinend ein wichtiges Puzzlestück entdeckt.«
»Aber haben sie auch die Beweise, die wir brauchen?«, fragte der Präsident vorsichtig, denn Admiral Brose konnte mithören.
»Noch nicht, Sam«, gestand Klein. »Doch Jon und Ms. Devin glauben zu wissen, wo sie unwiderlegbare Beweise bekommen können. Zuerst müssen wir sie allerdings unversehrt aus Russland herausschaffen.«
Castilla lüpfte eine Augenbraue. Nach dem, was er zuletzt gehört hatte, standen Kleins Agenten beim Kreml auf der Liste der meistgesuchten Verbrecher. Das Sicherheitspersonal an den russischen Flughäfen, Bahnhöfen, Häfen und Grenzübergängen war seit langem in höchste Alarmbereitschaft
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