Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
leise durch die Zähne. Obwohl der Brief lange vor Morgengrauen abgeschickt worden war, musste irgendjemand sich immer noch große Mühe gegeben haben, um ihn so früh in Berlin zustellen zu können.
Jon setzte sich auf ein bequemes blaues Sofa am Fenster, riss die Versiegelung auf und breitete die Dokumente aus dem Umschlag auf einem reich verzierten Couchtisch aus den Zwanzigerjahren aus. Da war zunächst ein kanadischer Pass mit seinem Foto, ebenfalls auf den Namen John Martin ausgestellt. Er war verbogen, voller Flecken und ziemlich abgegriffen und enthielt verschmierte Ein- und Ausreisestempel, die zeigten, dass er in den letzten Jahren eine Anzahl verschiedener europäischer Länder besucht hatte – Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Bulgarien und Rumänien. Die Visitenkarten wiesen John Martin als Wissenschaftler am Burnett-Institut aus, einer Public-Policy-Denkfabrik in Vancouver, Britisch-Kolumbien. Auf einem einzelnen Blatt Papier mit dem Vermerk »NACH DEM LESEN ZU VERNICHTEN« stand eine Kurzbiographie des fiktiven John Martin.
Außerdem enthielt der Umschlag ein gültiges Einreisevisum für Russland, in dem bestätigt wurde, dass er von einer privaten Firma zu »Beratungen über komparative nationale Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme" nach Moskau eingeladen worden war. Einem mitgelieferten Flugticket entnahm er, dass noch an diesem Morgen ein Lufthansa-Flug in die russische Hauptstadt für ihn gebucht war.
Smith saß noch einen Moment da und starrte auf die vor ihm liegende Ansammlung von gefälschten Reisedokumenten. Moskau? Sie schickten ihn nach Moskau? Tja, Daniel, alter Junge,
dachte er zynisch, wie gefällt dir der erste Blick auf die Löwengrube? Dann klappte er sein Handy auf.
Schon beim ersten Läuten meldete sich Klein. »Guten Morgen, Jon«, sagte der Leiter des Covert-One. »Ich nehme an, Sie haben gerade das Paket mit Ihrer neuen Identität bekommen?«
»Gut geraten, Chef«, erwiderte Smith trocken. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir etwas genauer zu erklären, was zum Teufel hier eigentlich vorgeht?«
»Nicht im Geringsten«, antwortete Klein mit todernster Stimme. »Betrachten Sie es als Einsatzbesprechung. Doch bevor wir anfangen, sollten Sie wissen, dass Ihre Befehle von ganz oben kommen.«
Smith wusste, dass damit der Präsident gemeint war. Unwillkürlich setzte er sich gerader hin. »Schießen Sie los.«
Mit wachsendem Staunen hörte er zu, wie Klein ihm die Liste der toten oder sterbenden Geheimdienstspezialisten sowie der militärischen Führer und Politiker aus den USA, ihren westlichen Bündnisstaaten und den kleineren Ländern rund um Russland vorlas. »Mein Gott«, sagte er, als sein Gesprächspartner endlich schwieg. »Kein Wunder, dass mein Treffen mit Petrenko wie ein Stich ins Wespennest war.«
»Ja«, bestätigte Klein. »Genauso sehen wir das auch.«
»Und nun wollen Sie, dass ich das erste Auftreten dieser Krankheit näher untersuche – die Fälle, von denen Petrenko gesprochen hat«, riet Smith.
»Exakt. Wenn möglich, brauchen wir harte Fakten über Ursprung, Wirkung und Übertragungsweise«, erklärte Klein. »Und wir brauchen sie bald. Ich habe das ungute Gefühl, dass die Ereignisse sich im Moment überschlagen.«
»Das ist eine ziemlich lange Bestellung, Fred«, entgegnete Smith leise.
»Das ist mir bewusst. Aber Sie werden bei dieser Mission nicht allein sein, Colonel«, versprach Klein. »Wir haben bereits ein
Team vor Ort – ein sehr gutes sogar. Es wartet schon auf Ihre Ankunft.«
»Wie kontaktiere ich es?«
»Sie haben eine Reservierung für das Hotel Budapest , in der Nähe des Bolschoi-Theaters«, erklärte ihm der Leiter des Covert-One. »Checken Sie dort ein und warten Sie um sieben Uhr Ortszeit an der Bar. Bis halb acht sollte der Kontakt hergestellt sein.«
»Und woran erkenne ich meine Kontaktperson?«, fragte Smith.
»Gar nicht«, erwiderte Klein ruhig. »Ihre Kontaktperson erkennt Sie. Sie brauchen nur dort zu sitzen und zu warten. Das Erkennungswort lautet Tangente .«
Jon spürte, wie sein Mund trocken wurde. Er würde nach Russland fliegen, ohne die Namen, Tarnungen oder auch nur die äußerlichen Beschreibungen der Covert-One-Agenten zu kennen, die dort stationiert waren. Klein ging kein Risiko ein – obwohl Smith nicht unter seinem eigenen Namen, sondern unter dem Tarnnamen John Martin reiste. So konnte er, falls die russischen Sicherheitsbehörden ihn am Flughafen abfingen, nicht dazu gezwungen
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