Das München-Komplott
was er abgestellt hat?
Antwort: Ja. Den Koffer. Dann ging er weiter auf den Papierkorb zu.
Frage: Haben Sie gesehen, wie der Mann den Papierkorb erreicht hat und was er dort tat?
Antwort: Nein. Dann verstellten mir die Leute, die die Wiesn verlassen wollten, den Blick. Ich habe dann die Stichflamme gesehen. Da habe ich mich instinktiv fallen lassen. Das hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet.
Dengler suchte den Aktenband mit der Asservatenliste. Von einem Koffer war nirgends die Rede. Auch Reste, Fetzen oder Teile des Koffers wurden offenbar nicht gefunden.
Wer hatte den Koffer kurz vor der Explosion in Sicherheit gebracht?
Einer der beiden anderen Männer?
Er musste mit diesem Becker reden.
Zusammensein am Abend
Es war längst Abend, als Dengler die Ordner wieder zur Seite legte.
Er ließ sich treiben, studierte die Gutachten derSprengstoffexperten. Schritt für Schritt vollzog er die Arbeit der Sonderkommission nach, sah vor seinem geistigen Auge die Männer und Frauen der Sonderkommission ausschwärmen, mit Informationen bestückt zurückkommen, Berichte schreiben, sah die Auswerter einzelne Spuren notieren, Kollegen einteilen, die diesen Spuren folgten. Fast kam es ihm so vor, als säße er wieder in seinem alten Büro in Wiesbaden.
Dengler, der Grübler – so hatten ihn seine Kollegen genannt. Er war immer eher ein Einzelgänger gewesen. Mit dem »Teamarbeiter«, den die damalige Leitung des BKA aus ihm machen wollte, konnte er sich nie anfreunden. Er hatte das Material immer in sich aufgenommen, alles gelesen, mit allen geredet, ohne vorher eine Hypothese aufzustellen, ohne vorher ein Vorurteil abzugeben. Das Material zeigte ihm dann häufig ein Muster, eine Struktur, die er weiter verfolgen konnte.
In diesem Fall schien ihm alles eindeutig und merkwürdig zugleich. Der Bombenleger war schnell gefunden, aber Dengler verstand nicht, warum die Aussagen des wichtigsten Augenzeugen in den Schlussberichten nicht berücksichtigt wurden.
Dengler rieb sich die Augen. Das Aktenstudium hatte ihn müde gemacht. Er ging ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab.
War der Abschlussbericht frisiert worden?
Warum sollten sowohl die Sonderkommission als auch der Generalbundesanwalt das tun?
Auch dafür gab es kein Motiv.
Oder doch?
Ein solches Attentat erforderte eine umfangreiche Vorbereitung. Unterschiedliche Kenntnisse mussten zusammengeführt werden: Sprengstoffkenntnisse, Erfahrungen mit Zündern, Logistik, Finanzierung, Montage, Transport. Allein für die Beschaffung des Sprengstoffs waren in der Regel viele Personen nötig. Hinzu kam: Sprengstoff, in diesem Fallhandelte es sich um TNT, war nicht billig. Köhler war ein Student. Wie war er an das Geld gekommen, woher hatte er die Beziehungen? Dengler kramte in seinem Erinnerungsschatz, aber es fiel ihm kein Fall ein, in dem ein Einzeltäter eine solche Operation hatte durchführen können.
Und noch etwas war ihm aufgefallen: Es fehlte ein Bekennerschreiben. Ein Einzeltäter hätte sich doch sicher erklären wollen. Warum nicht dieser Gundolf Köhler?
Es waren noch einige Fragen offen. Vielleicht würden die noch ungelesenen Akten sie beantworten.
Dengler sah auf die Uhr. Halb neun. Bestimmt saßen seine Freunde bereits unten im Basta . Er ging noch einmal zurück an seinen Schreibtisch und überprüfte seine E-Mails.
Keine Nachricht von Olga.
Er zog das Handy aus der Tasche.
Keine SMS von Olga.
Seit einer Woche war sie verreist, und sie fehlte ihm.
Als er die Tür zum Basta aufstieß, klang ihm schon Marios Lachen entgegen. Seine Freunde saßen an dem langen Tisch an der Wand. Martin Klein saß unter dem großen Spiegel, Leo ihm gegenüber und Mario am Kopfende. Er setzte sich zu ihnen. Eine Flasche Brunello stand auf dem Tisch. Leopold bestellte ein weiteres Glas und schenkte ihm ein.
»Du siehst müde aus«, sagte Leo, »der Abend ist doch noch jung.«
»Aktenstudien machen nicht gerade fit.«
»Um was geht es eigentlich genau? »
»Ich wühle mich durch die Ermittlungsakten zu dem Attentat auf das Münchener Oktoberfest 1980.«
»Oh, das war vor meiner Zeit. Meine Eltern saßen damals geschockt vor dem Fernseher, aber mehr weiß ich nicht mehr darüber.«
»Ich schon«, sagte Martin Klein. »Ich studierte damals noch. Die Bombe platzte mitten in den Bundestagswahlkampf hinein. Franz Josef Strauß, der sehr rechtslastige bayerische Ministerpräsident, wollte Kanzler werden. Er nutzte das Attentat sofort als Argument
Weitere Kostenlose Bücher