Das München-Komplott
Mann gewesen sein, dachte Dengler. Sein Kopf, quadratisch und früher sicher beeindruckend, hob sich, und Dengler sah in wässrige Augen.
»Mein Name ist Georg Dengler, Herr Biermichel. Ich wollte mich mit Ihnen über einen Mieter aus der Schwanthalerstraße unterhalten. Über Elmar Becker. Erinnern Sie sich noch an Herrn Becker? Es ist wichtig.«
»Sie müssen lauter reden, sonst versteht er Sie nicht«, sagteder Zivi, drehte sich in Biermichels Richtung und schrie: »Der Besuch kommt wegen Elmar Becker. Den müssten Sie kennen …!«
»Schon gut.« Dengler legte dem Zivi eine Hand auf den Arm. »Lassen Sie mich nur mit ihm reden.«
Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Biermichel.
»Wollen wir ein bisschen draußen spazieren gehen?«
Biermichel überlegte einen Augenblick und nickte dann.
»Ich leg ihm dann besser eine frische Windel an«, sagte der Zivi. »Wegen dem Geruch.«
»Es geht schon so«, sagte Dengler und bot dem alten Mann seinen Arm an, auf den er sich abstützen konnte.
Als sie die Preysingstraße hinunter in Richtung Ludwigsbrücke gingen, verzichtete Biermichel auf Denglers Stützhilfe. Er ging zunehmend sicherer. Er schlurfte auch nicht mehr, wie noch Minuten zuvor.
»Mein ganzes Leben lang hab ich in die Sozialkasse einbezahlt«, sagte er, und Dengler war sich nicht sicher, ob er mehr zu sich oder ihm sprach. »Und nun sperren sie mich ins Armenhaus.«
Aber dann sagte er laut und klar: »Der Becker ist ja schon tot.«
»Genau darüber wollt ich mit Ihnen reden. War er denn krank?«
»Karten ha’m wir immer zusammen gespielt. Schafskopf. Der Elmar, der Roland, der Sepp und ich.«
Er blieb stehen und starrte Dengler an: »Der Becker war ja vom anderen Ufer, verstehst?«
»Er war homosexuell. Ich weiß. Und wer war Roland?«
»Roland war sein Freund. Die war’n ja ein Paar. Aber der Elmar hat’s immer noch mit anderen getrieben. Die Warmen, die nehmen’s mit der Treue nicht so genau wie unsereins.«
»Haben Sie eine Adresse von Roland? Wie heißt er mit Nachnamen?«
»Freilich, der besucht mich doch immer wieder. Kommt öfter vorbei als meine Tochter. Tischer heißt er. Roland Tischer. Besucht mich oft. Die Adresse hab ich an meinem Bett. Auch eine Nummer für sein kleines Handy. Ich kann ihn immer anrufen, hat er gesagt.«
»Wissen Sie, an was Elmar Becker gestorben ist?«
»Der war ja immer gesund. Aber dann ist es mit ihm bergab gegangen. Das Herz war’s bei ihm. Das hat dann nicht mehr mitgemacht.«
»Wann ging das los?«
»Nach diesem …«
Biermichel blieb stehen.
»Kehren wir um. Ich bin ein alter Mann.«
Sie machten sich auf den Rückweg.
»Der Becker war immer gesund. Aber dann – in nur zwei Jahren war’s vorbei. Er war im Krankenhaus. Und in der Reha. Wurde auch immer komischer.«
»Wann wurde er krank? Erinnern Sie sich noch?«
»Ja freilich. Das war nach diesem Attentat. Danach ging’s bergab.«
»Er war die große Liebe meines Lebens«, sagte Roland Tischer. »Ein Hurensohn, das war er auch. Er holte sich immer Stricher vom Bahnhof, wenn ich nicht da war. Ich wusste es, aber ich liebte ihn. Er war Freund, Vater, Liebhaber. Ich verdanke ihm viel. Eigentlich alles.«
Es war Abend geworden.
Roland Tischer arbeitete in einer großen Steuerberatungskanzlei und war dort für die Datenverarbeitung zuständig.
»Ohne Elmar hätte ich mein Abitur nicht nachgemacht und auch den Steuerfachwirt nicht.«
»Er wurde nach dem Attentat krank?«
»Ein paar Wochen später ging es los. Vielleicht dieAufregung. Er war ja ein wichtiger Zeuge. Wurde fünf- oder sechsmal vernommen. Er hat sich über die Polizei wahnsinnig aufgeregt.«
»Warum?«
»Ich weiß es leider nicht mehr so genau. Ist schon zu lange her. Aber er hat einfach gesehen, dass da nicht nur einer am Werk gewesen war. Davon ist er nie abgerückt. Ich hab’s doch gesehen. Mit eigenen Augen, hat er immer gesagt. Darüber konnte man mit ihm nicht in Ruhe reden. Da war er empfindlich. Und dann kam diese Herzsache.«
Dengler saß auf einer breiten Ledercouch und hörte dem Mann zu. Seine Gedanken schweiften jedoch immer wieder ab. Er dachte an den früheren Fall einer Bundestagsabgeordneten, die umgebracht worden war, weil sich ein Konzern die öffentliche Wasserversorgung aneignen wollte. Der Killer benutzte ein Mittel, das den Tod wie einen Herzanfall aussehen ließ. Dieser Killer starb damals in Denglers Büro. Er wurde ermordet. Der Anschlag galt damals eigentlich ihm. Aber 1980 –
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