Das Multiversum 1 Zeit
durch einen Blizzard aus fremden Orten, Gerüchen und Ausrüstung.
Irgendwann befand sie sich in einem Umkleideraum. Er glich einem Kliniklabor mit den Neonröhren, Ausrüstungsregalen, der medizinischen Ausrüstung und dem antiseptischen Gestank. Sie wurde von ernst blickenden Technikerinnen hinter eine Trennwand geführt und musste sich bis auf die Unterwäsche ausziehen.
Dann steckte man sie in den Druckanzug. Sie musste sich durch den engen Gummi-Halsausschnitt und die Ärmelbündchen zwängen wie in einen eingelaufenen Pulli. Die schmallippigen Techni-336
kerinnen zupften an den Dichtungen und Klappen des Anzugs und überprüften ihn auf den richtigen Sitz.
Handschuhe, Stiefel.
Dann stülpten sie ihr einen Helm aus weißem Kunststoff und Glas über den Kopf und arretierten ihn in einem Ring um den Hals. Unterm Helm wurde ihr warm, sie kam sich eingesperrt vor, und die Geräusche wurden gedämpft, was den Eindruck der Unwirklichkeit noch verstärkte.
Sie hörte Michael irgendwo anders im Umkleideraum in seiner Muttersprache jammern. Gebt mir meine Kleider zurück! Bitte, gebt mir meine Kleider zurück! Es zerriss ihr schier das Herz. Aber sie konnte nichts für ihn tun.
In einer anderen Welt, sagte sie sich, verschwinde ich von hier.
Ich rede ruhig mit der Kongressabgeordneten Howell, schaffe uns die Leute von der AEC vom Hals und suche nach Möglichkeiten der Schadensbegrenzung für dieses Desaster. Ich tue meinen Job.
Stattdessen werde ich hier für einen Raumflug zurecht gemacht, um Gottes willen.
Sie wurde aus der Kabine geführt. Die anderen warteten auf sie.
Sie waren ähnlich ausstaffiert. Malenfant schaute sie durch den Helm an. Das von Metall und Kunststoff eingerahmte vertraute Gesicht war ausdruckslos, als ob er es noch immer nicht glaubte, dass sie hier bei ihm war.
… Und dann wurde sie nach einer Fahrt in einem offenen Ge-fährt über das Gelände zum hellen Lichtschein geführt, der den Booster einhüllte. Rampen-Techniker liefen neben ihr her und applaudierten.
Dann mussten sie mit einem stämmigen Rampentechniker in den Korb eines Krans steigen und wurden schwungvoll in die Luft befördert. Sie stiegen durch dünne, durchsichtige Nebelschwaden, die nach Holzrauch rochen. Sie sah sanft gekrümmtes, in seiner Kompaktheit muskulös wirkendes Metall, das mit Kondensat und 337
Reif überzogen war. Es war nur ein paar Fuß von ihr entfernt, zum Greifen nah.
Michael schien im Helm zu weinen. Cornelius hielt das Kind noch immer an der zur Faust geballten Hand fest. Der Rampen-Techniker nahm das mit versteinertem Gesichtsausdruck zur Kenntnis.
Der Korb neigte sich und schlug gegen die Raketenwand. Der Techniker trat vor und legte eine Rampe über den hundert Meter tiefen Abgrund, der sie vom Booster trennte.
Malenfant ging als Erster.
Dann war Emma an der Reihe. Sie hakte sich beim Techniker ein und betrat die Rampe. Sie schaute durch ein klaffendes Loch in der Verkleidung, die das Raumschiff umhüllte. Die Wandung war mit einer Art Isomatte bedeckt, einem kalkweißen Gewebe. Ins Gewebe war eine Luke mit einem Metallrahmen geschnitten worden. Die Luke führte in eine graue konische Höhle, die trübe erleuchtet war. Die Wände waren mit hunderten von Schaltern und Skalen verkrustet. Klappsitze waren nebeneinander angeordnet, die lediglich aus mit Stoff bespannten Metallrahmen bestanden. Sie fand, dass sie wie Campingstühle aussahen.
Es roch nach neuen Maschinen: der schwere Duft von Öl, ein intensiver Geruch nach geschweißtem Stahl und bearbeitetem Messing, die süßlichen Aromen von Baumwolle und Wandbezügen, die noch nicht mit Körperausdünstungen vollgesogen waren. Die Kabine machte einen sicheren, warmen und behaglichen Eindruck.
Wieder peitschten Schüsse durch die Luft.
George Hench:
Für George Hench schien die Zeit in diesen letzten Minuten sich zu verlangsamen und wie Sirup zu fließen.
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Er versuchte, die Flut der Details zu verdrängen. Nachdem er die Politiker und Bürokraten rausgeworfen hatte, spürte er eine Aura professioneller Ruhe und Kontrolle. Er hörte, wie die Techniker die Startvorbereitungen abarbeiteten und sich gegenseitig Bestätigungen zuriefen. Beide Haupttanks waren mit Wasserstoff beziehungsweise Sauerstoff gefüllt und ihr Druck wurde ständig unter Kontrolle gehalten. Trägheitsmessgeräte waren kalibriert worden, sodass der BDB nun ein Gefühl für seine Position im dreidimensionalen Raum hatte, wenn er durch die Rotation des Planeten um die
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