Das Multiversum 2 Raum
trocken. »›Gott leitet uns in allen Dingen.‹«
»Dann versuchen die Chaera also, ›Gott‹ anzurufen«, sagte Ben.
»Ein paar von ihnen beten. Andere bauen große Artefakte, die Ihren Glanz widerspiegeln. Wie Sonnenanbeter, die für die Morgendämmerung beten. Im Grunde versuchen sie aber nur, Gamma-288
strahlen-Ausbrüche zu stimulieren. Die Gaijin müssen ihnen lediglich einen effektiveren Kommunikationsmechanismus verkaufen.«
»Einen besseren Rosenkranz«, murmelte Madeleine.
»Aber woran sind die Gaijin hier interessiert? Am Artefakt des Schwarzen Lochs?«
»Möglich«, sagte Nemoto. »Vielleicht auch an der Religion der Chaera. Die Gaijin scheinen geradezu besessen von solch unlogischen Glaubenssystemen.«
»Aber«, sagte Madeleine, »diese Röntgenlaser pumpen so viel Energie ins Artefakt, dass es das Fassungsvermögen der Chaera um ein paar Größenordnungen übersteigt. Vielleicht wissen die Chaera überhaupt nicht, womit sie es hier zu tun haben.«
»›Gottes heiliger Ruf zerschmettert Welten‹«, dolmetschte Nemoto.
■
Der Hauptstern hatte große Ähnlichkeit mit der Sonne. Die von Zweifeln über die Mission gequälte Madeleine legte die Hand aufs Fenster, um die Wärme zu spüren. Sie lechzte nach einer kleinen körperlichen Freude.
Es gab hier nur einen Planeten. Er war etwas größer als die Erde und bewegte sich auf einer perfekten Kreisbahn durch die bewohnbare Zone des Sterns, den Bereich, in dem ein erdähnlicher Planet zu existieren vermochte.
Aber sie sah schon aus der Ferne, dass das keine Erde war. Es herrschte Stille auf allen Frequenzen. Und der Planet leuchtete fast so hell wie sein Stern; er musste eine Wolkendecke wie die Venus haben.
Nach einer Schlafpause klammerten Ben und Madeleine sich aneinander und trieben vor dem, was einem ›Panoramafenster‹ am 289
nächsten kam. Madeleine ließ den Blick schweifen und suchte nach bekannten Sternbildern, obwohl sie so fern der Heimat waren. Sie fragte sich, ob es ihr gelingen würde, Sol ausfindig zu machen.
»Irgendetwas stimmt nicht«, flüsterte Ben.
»Irgendetwas stimmt immer nicht.«
»Ich meine es ernst.« Er zog mit dem Finger eine Linie durch den schwarzen Himmel. »Was siehst du?«
Die Sonne stand im Moment hinter dem FGB-Modul, und sie schaute hinaus ins Streulicht. Da waren dieser helle Planet und die trübe rote Geröllscheibe, die das Schwarze Loch der Chaera umspannte. Von hier aus war es nur als eine Licht-Punktquelle zu sehen.
»Es liegt ein Glühen um den Stern«, sagte Ben, »das noch den Orbit des Einzelplaneten erfasst. Siehst du?« Madeleine erkannte einen diffusen Schein, wolkig und mit ausgefransten Rändern. »Das ist an sich schon merkwürdig«, sagte Ben. »Aber …«
Dann fiel bei ihr der Groschen. »Aha. Kein Zodiakallicht.«
Das Zodiakallicht im Sonnensystem war ein schwaches Glühen in der Ebene der Ekliptik. Manchmal war es auch von der Erde aus zu sehen. Es handelte sich um Sonnenlicht, das vom Staub gestreut wurde, der die Sonne in der Ebene der Planeten umkreiste.
Der meiste Staub war in oder in der Nähe des Asteroidengürtels durch Asteroidenkollisionen entstanden. Und im Sonnensystem dieser Tage wurde das Zodiakallicht natürlich vom Glühen der Gaijin-Kolonien verstärkt.
»Wenn es also kein Zodiakallicht ist …«
»Es gibt hier keine Asteroiden«, sagte Ben.
»Nemoto. Was ist mit den Asteroiden passiert?«
»Ich glaube, das wisst ihr schon«, zischte die virtuelle Nemoto.
Ben nickte. »Sie wurden verarbeitet. Wahrscheinlich schon vor langer Zeit. Dieser Ort ist alt, Madeleine.«
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Mit funkelnden elektromagnetischen Blüten fraß das Blumen-Schiff sich durch die prall gefüllte Gastasche im Herzen des Systems, und die Schatten, die von der nahen und in hellem Glanz erstrahlenden Sonne geworfen wurden, wanderten wie Uhrzeiger über die komplexe Oberfläche des Schiffs. Diese diffuse Gaswolke war bereits so dicht, dass sie die fernen Sterne ausblendete.
Daten gingen lautlos im FGB-Modul ein.
»Es gleicht einem Fragment einer GMC – einer molekularen Rie-senwolke. Überwiegend Wasserstoff, ein geringer Anteil Staub. Sie ist vergleichsweise dick. Hunderttausend Moleküle pro Kubikzenti-meter … Die Sonne wurde aus einer solchen Wolke geboren, Madeleine.«
»Aber die Hitze der Sonne hat die Überreste unserer Wolke aufgelöst … nicht wahr? Wieso ist das nicht auch hier passiert?«
»Oder vielleicht müsste die Frage so lauten«, sagte die virtuelle Nemoto
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