Das Multiversum 2 Raum
fremder Leute war. Aber sie wussten nicht, wohin sie sonst hätten gehen sollen. Und nicht einmal auf dem Mond interessierte sich jemand für Sternenreisende und ihre Geschichten.
Frank indes hatte sich betrogen gefühlt. Die Reise zu den Sternen war für ihn ein großer Fehler gewesen. Er hatte nach geschäftlichen Möglichkeiten gesucht und dem schleichenden Zusammenbruch der Weltwirtschaft und der sozialen Strukturen entfliehen wollen, der schon lang vor Kriegsausbruch eingesetzt hatte, lang bevor die Menschen in Massen starben.
Nicht dass er kein Kapital daraus geschlagen hätte.
Der Mond des späten zwanzigsten Jahrhunderts hatte viel mit der Erde des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts gemeinsam, wie sich herausstellte. Nachdem die Verbindungen mit der Heimatwelt gekappt waren, bildete sich auf dem Mond eine stagnie-rende geschlossene Wirtschaft heraus. Für Frank war das aber nichts Neues, zumal er wusste, dass ökonomische Wahrheiten unter solchen Umständen immer triumphierten. Zum Beispiel hatte Frank schnell viel Geld mit der Umrüstung einer alten Technik gemacht, die Mond-Schwefel und Sauerstoff als Energiequelle nutzte.
Wegen der zunehmenden Materialknappheit waren industrielle 317
Prozesse, die früher als unwirtschaftlich galten, plötzlich rentabel geworden.
Innerhalb von fünf Jahren zählte Frank J. Paulis zu den hundert reichsten Personen auf dem Mond und hatte Xenia gleich mitgenommen.
Aber das war nicht genug. Es war Frank nicht möglich, das tradi-tionelle dichte Geflecht der Geschäftsbeziehungen der MondJapaner aufzureißen. Außerdem hatte Xenia den Eindruck, dass er sich hier oben auf dem Mond beengt fühlte.
Und deshalb war dieser Komet auch so wichtig für Frank gewesen. Er würde alles aufmischen, sagte er. Die Gleichung ändern.
Das war entweder bewundernswert oder schizophren, sagte sie sich.
Nach all den Jahren – in denen sie seine Begleiterin, Geliebte, Angestellte, Amateur-Therapeutin gewesen war – verstand Xenia Frank immer noch nicht; das gab sie freimütig zu. Er war ein Ka-pitalist reinsten Wassers, keine Frage. Aber er konzentrierte sich mit seinem ganzen Ehrgeiz auf die größten Projekte. Die Zukunft der Welt! Das Schicksal der Menschheit! Xenia fragte sich ständig, ob Frank ein Visionär war, der den Kapitalismus als Werkzeug zum Erreichen seiner Ziele benutzte – oder ob er doch nur ein Ka-pitalist war, der Gier und Ehrgeiz sublimierte.
Im Sog seiner Energie und Ambitionen fiel es ihr jedoch schwer, sich auf solche Fragen zu konzentrieren.
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Frank J. Paulis, der in wasserblaues Licht getaucht seine Show ab-zog, war ein Bündel terrestrischer Energie und Aggression, das auf dem kleinen, zerbrechlichen Mond fehl am Platz schien. »Ihr müsst die Zukunft besiegen – oder sie wird euch besiegen! Davon 318
war ich schon überzeugt, bevor ich zu den Sternen flog, und nun bin ich erst recht überzeugt davon. Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, wie …«
Für die Präsentation seines neuen Projekts hatte Frank mit fie-berhaftem Enthusiasmus das Große Auditorium im Herzen von Landsberg gemietet. Die Kraterkuppel wölbte sich als blaue Decke über Xenia: Eine dicke Doppelschicht aus Quasiglas, die mit Wasser gefüllt war und durch ein synthetisches Spinnennetz stabilisiert wurde. Das Wasser schirmte die Bewohner Landsbergs vor der Strahlung ab und streute das ungefilterte Sonnenlicht. Während des langen Mondtags hier in Landsberg strahlte der Himmel kö-
nigsblau und war voller Fische – Goldfische und Karpfen. Nach fünf Jahren hatte Xenia sich immer noch nicht daran gewöhnt.
Frank stand vor einer großen dreidimensionalen Grafik: Ein Schnittmodell des Mondes, das öde, geologisch uninteressante Schichten enthüllte. Neben ihm saß Mariko Kashiwazaki, die junge Akademikerin, deren wissenschaftliche Arbeit Frank überhaupt erst den Schubs in diese neue Richtung gegeben hatte. Die schlanke Person wirkte unsicher im teuren Kostüm, das Frank ihr gekauft hatte.
Xenia saß an der Rückwand des Auditoriums und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen: Politiker und Geschäftsleute. Sie wirkten unbeteiligt. Immerhin waren sie hier und hörten zu; und das war auch schon alles, was Frank im Moment interessierte.
»Hier auf dem Mond brauchen wir flüchtige Stoffe«, sagte Frank. »Nicht nur zum Überleben, auch zum Expandieren. Um ein Wirtschaftswachstum zu erzielen: Wasser, Wasserstoff, Helium, Kohlendioxid, Stickstoff. Vielleicht auch Nitrate und
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