Das Multiversum 2 Raum
und die Inquisition waren. »Ganz zu schweigen von der Wei-gerung der Kirche«, sagte Xenia verbittert, »den Frauen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zuzugestehen und das Problem des Bevölkerungswachstums anzusprechen. Diese Position wurde erst 2013 aufgegeben und ist ein historisches Unrecht, das nur mit …«
»Das ist ja alles richtig«, sagte Frank sanft. »Aber wer ist in deinen Augen denn zynisch? Wir oder sie? Schau, ich mache mir nichts aus der Kirche. Ich mache mir nur etwas aus Geld, und davon ist immer noch verdammt viel da. Und wie jeder andere Fir-mensponsor hat auch die Kirche Anspruch auf ein Stück vom PR-Kuchen.«
»Manchmal glaube ich, du würdest sogar Geld vom Teufel annehmen, wenn dein Big Dumb Booster dadurch etwas näher an die Startrampe heranrücken würde.«
»Weil wir eine Horde dieser apokalyptischen Kultanhänger hier haben – die glauben, dass die Gaijin Dämonen sind, die gesandt wurden, um uns zu bestrafen oder was auch immer –, schätze ich, dass ich schon Geld von diesem Gesellen nehme. Auf jeden Fall wird ein Gleichgewicht sichtbar.« Frank legte den Arm um sie – er musste ihn dazu hochnehmen – und geleitete sie aus dem Büro.
»Xenia, dieser Hexendoktor wird nicht lang bei uns sein. Und glaube mir, einen Priester zu unterhalten wird dir viel leichter fallen als die verwöhnten Schnösel, mit denen wir es sonst zu tun haben.«
»Ich … Frank, wenn du wüsstest, wie sehr die Andeutung mir stinkt, dass meine Zeit nicht wertvoll sei …«
»Nimm sie zu dem Vortrag mit. Dadurch gewinnst du schon ein paar Stunden.«
»Was für ein Vortrag?«
Er runzelte die Stirn. »Ich dachte, du wüsstest Bescheid. Reid Malenfant spricht über die Philosophie außerirdischen Lebens.«
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Sie musste den Namen aus einem Winkel der Erinnerung her-vorkramen. »Der alte Sack aus den Talkshows?«
»Reid Malenfant, der Ex-Astronaut. Reid Malenfant, der Mitent-decker außerirdischen Lebens vor fünf Jahren. Reid Malenfant, Ikone der Neuzeit, der unseren Klempnern hier den Horizont erweitern wird.« Er grinste. »Mach nicht so ein Gesicht, Xenia. Vielleicht wird es ganz interessant.«
»Kommst du denn?«
»Natürlich.« Und er hatte sachte die Tür geschlossen.
■
Xenia und Dorothy wurden mit einem Automatikfahrzeug in Baikonur herumgefahren – die übliche Besichtigungstour.
Baikonur, das geheime Raumfahrtzentrum der Sowjetunion war fast schon zur Ruine heruntergekommen, als Frank Paulis es übernommen und wieder in Betrieb gesetzt hatte. Im Herzen einer kalten, baumlosen Steppe gelegen und nur durch einen maroden Schienenstrang mit der russischen Grenze verbunden, glich es einem vernachlässigten Militärstützpunkt, der mit Hangars, Startrampen und Brennstofftanks durchsetzt war. Trotz der mehrjährigen Präsenz von Bootstrap stapelte sich noch immer rostiger Schrott an der Peripherie der Basis – bei dem es sich zum Teil noch um die Überreste russischer Mondraketen handeln sollte, die ihr Ziel nie erreicht hatten.
Dorothys Aufmerksamkeit wurde jedoch von Xenias Bericht über die Geschichte, die Errungenschaften und die Mission von Bootstrap abgelenkt, und zwar durch die Leute, die Frank Paulis als die Sportfans bezeichnete: Vertreter der einen oder anderen Meinung über die Gaijin, die von diesem Ort anscheinend unwi-derstehlich angezogen wurden.
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Die Sportfans lebten am Rand des Startkomplexes in festen Zelt-lagern, die durch robuste Maschendrahtzäune eingegrenzt wurden.
Sie verbrachten die Zeit damit, zu singen, sich zu kostümieren, Flugblätter zu verteilen und waren überhaupt virtuose Aktionskünstler in Sachen Protest. Bootstrap-Sicherheitsleute und Drohnenroboter hielten ein wachsames Auge auf sie. Sie finanzierten sich wahrscheinlich durch Ersparnisse oder Sponsoren oder wen auch immer, dem sie ihre Erfahrung und das Wissen aus den Da-tennetzen verkauften. Darüber hinaus waren sie eine ebenso ergiebige wie leichte Verdienstquelle für die ortsansässigen Kasachen – weshalb sie hier überhaupt geduldet wurden.
Xenia versuchte Dorothy von der Beschäftigung mit diesen Leuten abzubringen, doch Dorothy fand das interessant. Also umrun-deten sie in langsamer Fahrt die Zäune, wobei Dorothy zum Fenster hinausschaute und Xenia ihre Ungeduld zügeln musste.
Die öffentliche Reaktion auf die Gaijin – wie sie sich in den fünf Jahren seit der Entdeckung durch Nemoto und Malenfant entwickelt hatte –, war auseinander gedriftet. Es gab nun zwei gro-
ße
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