Das Multiversum 2 Raum
und brannten Schneisen in die vorübergehende Triton-Atmosphäre. Und als sie ins brodelnde Wassereis stürzten, erzeugten sie Sekundärwolken und neue Fontänen der Zerstörung.
Die Kilometer hohe Schockwelle raste über das uralte Eisland, das zum Teil noch mit Stickstoffreif überzogen war. Madeleine wurde sich bewusst, dass die Welle nicht zum Stehen kommen würde. Sie würde um den ganzen Triton rasen und seine Land-schaften verwüsten: Den Stickstoffschnee im Norden, die alten or-427
ganischen Ablagerungen im Süden. Sie würde das Stickstoff-Wetter zum Erliegen bringen und das uralte, kaum erforschte Kantalupe-Terrain unwiederbringlich zerstören. Die Schockwelle war wie ein riesiger Radiergummi, sagte sie sich, der Tritons ungelöste Rätsel und vier Milliarden Jahre eisiger Geologie in ein paar Stunden ausradierte.
Aber diese expandierenden Eisvulkan-Wolken legten sich schon wie ein dünner Schleier um den Mond, und der Dampf stieg auf eine Höhe empor, in der das zertrümmerte Eis ihn nicht mehr erreichte. Gnädigerweise wurde Tritons verwüstete Oberfläche schon nach einer Stunde von einem Leichentuch aus wabernden Wolken verhüllt, die unablässig von Blitzen durchzuckt wurden.
Sie hörte von Ben, dass die Yolgnu feierten. Dies war Triton-Traumzeit, die wahre Traumzeit, wo Riesen die Welt formten.
Nach drei Stunden erfolgte eine neuerliche Explosion, und eine neue Säule aus Feuer und Eis brach aus der Rückseite des Mondes.
Die mächtige Schockwelle war um den halben Mond gewandert, bis sie am Antipoden des Einschlags gegen einen frischen Wall aus zertrümmertem Eis gebrandet war. Madeleine vermutete, dass Sekundärwellen entstehen würden, die sich in großen Kreisen wie Wellen in einer Badewanne über Triton ausbreiten würden, während das neue tosende Meer einen Gleichgewichtszustand anstrebte.
Nemoto materialisierte vor ihr.
»Sie haben gut improvisiert, Madeleine.«
»Lassen Sie das, Nemoto. Ich war ein braver kleiner Soldat.«
Aber die fünf Stunden entfernte Nemoto hörte sie natürlich nicht.
»… Triton ist nun wertlos für die Gaijin, die Eis und massives Gestein für ihre Bauvorhaben brauchen. Doch für Menschen ist er alles andere als wertlos. Er ist noch immer eine kalte Welt, die bald wieder von einer dicken Eisschicht überzogen sein wird. Aber 428
dieses Meer könnte dank Nereides Restwärme und Neptuns kräftiger Gezeitenwirkung für eine lange Zeit flüssig bleiben – für Millionen Jahre vielleicht. Und irdisches Leben könnte das neue Meer bevölkern. Leicht modifiziert zumindest – Tiefseegeschöpfe, die von der Wärme leben, die Tritons Kern abgibt, Plankton, Fische, sogar Wale. Triton am Rand des interstellaren Raums ist erdähnlich geworden. Stellen Sie sich die Zukunft für diese Aborigines vor«, sagte Nemoto lockend. »Triton war der Sohn von Poseidon und Aphrodite. Wie passend …«
Das war Nemotos schönste Stunde, sagte Madeleine sich, diese heroische Anstrengung, nicht nur den Lauf von Welten, sondern den Lauf der Geschichte selbst zu beeinflussen. Sie versuchte sich an ihr eigenes Triumphgefühl zu klammern, aber es war ein schwacher Trost.
»Noch eins, Meacher.« Die virtuelle Nemoto beugte sich zu ihr.
»Ich muss Ihnen noch etwas sagen …«
■
Später rief sie Ben an.
»Wann kommst du nach Hause?«
»Gar nicht.«
Ben schaute sie stirnrunzelnd an. »Du machst Witze.«
»Nein. Kasyapa ist dein und Lenas Zuhause. Aber nicht meins.«
»Was dann? Die Erde? Der Mond?«
»Dort auch nicht«, sagte sie. »Ich bin Jahrhunderte von meiner Zeit entfernt.«
»Du willst zu den Sattelpunkten zurückgehen. Aber du bist doch die große Gaijin-Hasserin wie Nemoto.«
429
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin gegen ihre Projekte. Aber ich fliege mit ihnen. Wieso auch nicht? Ben, sie sind die Einzigen, die noch Raumfahrt betreiben.«
»Was erhoffst du dir dort draußen?«
Sie antwortete nicht.
Ben lächelte. »Madeleine, ich wusste immer, dass ich dich ans Sternenlicht verlieren würde.«
Es fiel ihr schwer, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren und seinen Worten zu lauschen. Sie wurde sich bewusst, dass er nicht mehr wichtig war und brach die Verbindung ab.
Sie dachte daran, was Nemoto ihr zuletzt gesagt hatte. Finden Sie Malenfant. Er stirbt …
430
kapitel 23
KANONENKUGEL
Das musste der hässlichste Planet sein, den Madeleine jemals gesehen hatte.
Es war eine Kugel von der Größe der Erde, die sich langsam drehte und von einem unbedeutenden kleinen
Weitere Kostenlose Bücher