Das Multiversum 2 Raum
Landungsboot, das wie ein silbriger Kegel hinter ihr aufragte. Sie war nur ein paar Kilometer von der Küste eines der gelben Meere entfernt; sie vermutete es hinter einem niedrigen, zerklüfteten Höhenzug.
Sie erreichte den Fuß der Erhebung und erklomm sie. In der hohen Gravitation grenzte das an Leistungssport; sie spürte, wie ihre Temperatur stieg und die Exoskelett-Verstärker des Anzugs unmerklich aktiviert wurden und sie unterstützten.
Sie erreichte schnaufend den Grat. Eine Ebene breitete sich vor ihr aus: Mit roten und schwarzen Schattierungen, von Sanddünen durchzogen und mit etwas perforiert, das wie ein großer, stark erodierter Einschlagkrater aussah. Und in Richtung des rauchigen Horizonts war tatsächlich dieses gelbe Meer, über dem grünliche Nebelschwaden hingen. Es war eine bizarre, surreale Landschaft, als ob alle Farben der Erde durch ihre Komplementärfarben ersetzt worden wären.
Und nur hundert Meter vom Fuß des Höhenzugs entfernt sah sie zwei Gaijin-Landungsboote. Die silbernen Kegel standen nebeneinander. Von jedem gingen feine Staubstrahlen aus, die die Lan-deraketen in den Boden gefräst hatten. Neben einem Landungsboot stand ein Gaijin reglos wie eine spinnenartige Statue. Neben dem anderen stand ein Mensch in einem Exo-Anzug, der sich nur unwesentlich von Madeleines unterschied.
Der Mensch sah sie und winkte.
Madeleine zögerte.
Plötzlich verspürte sie Beklemmungen. Sie war keinem Menschen mehr begegnet, seit sie sich auf Triton von Ben verabschiedet hatte. Und zwischen den Sternen war sie noch nie jemandem begegnet. Die Gaijin mussten Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhun-434
derte gebraucht haben, um dieses seltsame Rendezvous zu arrangieren.
Sie stieg vom Grat zu den Landungsbooten hinab, wobei sie dem Anzug die meiste Arbeit überließ.
Der winkende Mensch erwies sich als eine katholische Priesterin namens Dorothy Chaum. Madeleine war ihr vor ein paar Relativ-Jahren schon einmal begegnet. Und in einem der Landungsboote befand sich noch ein Mensch, jemanden, den sie nur vom Hören-sagen kannte.
Es war Reid Malenfant.
Und er lag wirklich im Sterben.
■
Malenfant befand sich in einer schlimmen Verfassung. Sein Kopf glich einem Totenschädel; die Knochen schimmerten durch dün-ne, papierne Haut, und die Kopfhaut war mit Leberflecken übersät.
Dorothy und Madeleine legten Malenfant den Anzug an und brachten ihn zu Dorothys Landungsboot. In dieser Schwerkraft war das trotz der Anzugs-Servomotoren eine Plackerei. Aber Dorothys Boot hatte eine bessere medizinische Einrichtung als Madeleines. Malenfant besaß nichts bis auf das, womit die Gaijin ihn versorgt hatten.
Malenfant war alt geworden und in sich versunken, wie ein bei Ebbe zurückweichendes Meer. Es war ihm gelungen, für ein paar Jahre zu überleben. Aber seine Ausrüstung funktionierte nicht mehr richtig – und die Gaijin, mit denen er gereist war, wussten bestimmt nicht genug über menschliche Biologie, um ihn zu behandeln. Und nicht nur das, er litt auch an der Diskontinuität.
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Als sein Zustand lebensbedrohlich wurde, waren die Gaijin fassungslos.
»Also haben sie nach uns geschickt«, sagte Dorothy Chaum versonnen. »Sie haben Signale durch die Tor-Verbindungen gesandt.«
»Wie haben sie ihn so lang am Leben erhalten?«
»Das haben sie gar nicht. Sie haben ihn nur konserviert. Sie haben sein Signal im Sattelpunkt-Netzwerk hin-und hergeschickt und seine Körperlichkeit nie länger als für ein paar Sekunden auf-rechterhalten …«
Madeleine betrachtete Malenfant. War er bei Bewusstsein gewesen, als er eine blau blitzende Transition nach der andern vollführ-te, als er Lichtjahre und Jahrzehnte in Sekunden überbrückte? Malenfant erwachte, während sie ihn wuschen und für den Medo-Tank vorbereiteten. Er schaute Madeleine in die Augen. »Sind Sie überhaupt qualifiziert, mir den Sack zu schrubben?«
»Sie werden niemand anderes finden, Kumpel.«
Und dann starrte er Chaum mit dem diagrammatischen weißen Kragen an. »Was gibt das, die letzte Ölung?« Er versuchte sich auf Armen aufzurichten, die dünn wie Stecken waren.
Madeleine drückte ihn zurück. »Das wird es werden, wenn Sie nicht vernünftig sind.«
Er drehte den hageren Kopf. »Wo ist mein Anzug?«
Dorothy runzelte die Stirn und wies auf die Montur aus Gaijin-Fertigung, die sie in eine Ecke gelegt hatten. »Dort drüben.«
»Nein«, flüsterte er. »Mein Anzug.«
Wie sich herausstellte, meinte er damit die alte Shuttle-EMU aus der
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