Das Multiversum 2 Raum
Planeten bestimmt wurden. Von einer Erde, die um Alpha A oder B kreiste, würde eine Linie durch den Himmel führen, die die Ebene der Ekliptik markierte: das gleißende verheißungsvolle Funkeln unzähliger Asteroiden, das Versprechen märchenhafter Reichtümer.
Das Muster schien klar. Der wechselseitige Einfluss von A und B
hatte die Entstehung großer Planeten verhindert. Die flüchtigen Stoffe, aus denen die Gasriesen des Sonnensystems hervorgegangen waren, hatten hier nicht zusammengefunden. Malenfant, der die Hälfte seines Lebens für die Ausbeutung der Weltraumressourcen plädiert hatte, juckte es in den Fingern, als er die riesigen fliegenden Schatzkammern sah. Hier wäre es ein Kinderspiel, sagte er sich missmutig.
Aber das hier war kein Ort für die Menschheit und würde vielleicht nie einer sein. Die Software steckte derweil den ganzen Rand des Systems mit blauen Fähnchen ab. Es handelte sich dabei um 127
die Punkte des Gravitationslinsen-Brennpunkts, die Sattelpunkte, die hier viel zahlreicher waren als im simplen unipolaren Schwerefeld der Sonne. Und er machte Bewegung auf diesen staubigen Lichtbahnen aus: Viele gelbe Funken, alles Blumen-Schiffe der Gaijin.
Im Vergleich hierzu ist das Sonnensystem ein Armenhaus, sagte er sich. Hier spielt in diesem Raumsektor die Musik: Alpha Centauri mit den vielen Sattelpunkten gleicht einem Hauptbahnhof, und am Himmel hängen lauter fliegende Minen. Er verspürte fast einen Minderwertigkeitskomplex wie ein Hinterwäldler, der in die große Stadt kam.
Eine schemenhafte Bewegung zog sich durch das vergrößerte Sehfeld.
Er lehnte sich zurück und versuchte das Objekt mit bloßem Au-ge zu erkennen.
Es war ein Roboter, der mithilfe seiner Rückstoßdüsen einen er-ratischen Kurs beschrieb. Das aus den Düsen ausströmende Gas kristallisierte und glitzerte im Licht von Alpha. Dann kam er zum Stillstand und verharrte mit ausgestreckten Gliedmaßen nicht weiter als zehn Meter von der Blase.
Malenfant stieß sich zum Teil der Wand ab, die dem Robot am nächsten gelegen war, drückte das Gesicht an die Membran und schaute hinaus.
Die Haltung des Roboters suggerierte Wachsamkeit. Jedoch entsprang dieser Eindruck wahrscheinlich wieder seiner menschlichen Perspektive.
Der kompakte zwölfflächige Körper musste einen Durchmesser von ein paar Metern haben. Die schimmernde Oberfläche hatte ei-ne komplexe Struktur, und die silbrige Hülle wurde von Öffnungen durchbrochen, aus denen unidentifizierbare Maschinen lugten. Der Roboter hatte verschiedene Anhängsel. Ein ganzer Wald aus ein paar Zentimeter langen ›Borsten‹ wuchs aus jeder Oberflä-
128
che des Kerns, als sei der Roboter von einem Pelz überzogen. Zwei der Gliedmaßen waren jedoch wesentlich länger – zehn Meter vielleicht – und mit Gelenken versehen wie die robotischen Arme des alten Space Shuttle. Sie liefen in einem Knoten aus Gerätschaften aus. Dann sah er, dass die Arme auf ganzer Länge mit kleinen Rückstoßdüsen besetzt waren. Das ganze Ding erinnerte ihn an eine alte Raumsonde – Voyager oder Pioneer. Mit dem kompakten Gehäuse und den filigranen Auslegern sah das Raumschiff aus wie eine Libelle.
Der Roboter zeigte deutliche Anzeichen der Alterung und Verschleißspuren: Die Hülle des zwölfflächigen Kerns war eingedellt, ein antennenartiger Auswuchs war wie von einem Mikrometeori-tenregen löchrig und verschrammt, und ein Arm schien gebrochen und geschient worden zu sein. Das ist eine alte Maschine, sagte er sich, und sie ist wahrscheinlich schon sehr lange unterwegs. Er fragte sich, wie viele Sonnen bereits ihre Glut auf die dünne Hülle geschleudert und wie viele Kometenschweif-Staubwolken diese filigranen Strukturen schon abgeschmirgelt hatten.
Die beiden Arme waren wie im Gebet nach oben gerichtet und verliehen dem Roboter die Form eines W – wie der erste Roboter, den er gesehen hatte.
Ob das dieselbe Maschine ist, der ich nach dem Durchgang durch den Reif begegnet bin? Oder sehe ich es wieder aus dem menschlichen Blickwinkel und suche nach Individualität, wo gar keine ist? Es würde schließlich niemand auf die Idee kommen, dieses Ding mit einem Lebewesen zu verwechseln – oder? Das Gebilde wirkte an sich nicht bedrohlich, doch die fehlende Symmetrie – ein Arm war gut zwei Meter länger als der andere – verursachte ihm auf einer tiefen Ebene großes Unbehagen.
»Kassiopeia. So nenne ich dich«, sagte er in einem Anflug von Sentimentalität.
129
Weiblich, Malenfant?
Weitere Kostenlose Bücher