Das Multiversum 2 Raum
der Venus nicht, mangels Meeren). Hier auf den Höhen von Ishtar Terra war es etwa vierzig Grad kälter als in den weiten vulkanischen Ebenen – obwohl bei über vierhundert 228
Grad die Ausrüstung dadurch kaum entlastet wurde –, aber der Luftdruck betrug nur ein Drittel des Höchstwerts in den Tiefebenen. Noch tiefer vermochte sie jedoch nicht ins Luftmeer der Venus einzutauchen.
Ihr Anzug war ein massiges Gebilde aus Wolfram und ähnelte eher einem Tiefseetaucheranzug als einem Raumanzug. Am Rü-
cken und an der Brust hingen Behälter mit Sauerstoff und Wärme-tauscher, die sie für ein paar Stunden am Leben erhalten würden.
Doch wie beim Schiff waren die Schlüsselelemente der Kältetech-nik Laser, die in regelmäßigen Abständen die überschüssige Wär-me ins Venusgestein abführten. Der Anzug war eine technische Meisterleistung, aber unbequem; in der Schwerkraft der Venus, die neunzig Prozent der irdischen betrug, wog der Anzug schwer und drückte am Körper.
Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute gen Himmel.
Sie vermochte die Sonne nicht zu sehen; das trübe rote Licht kam von überall her, wurde stark gestreut und hatte scheinbar keine Quelle. Aber der Himmel wies dennoch Merkmale auf. Sie vermochte durch die unteren Luftschichten und den Dunst bis zu den mächtigen Wolkenschichten in fünfzig Kilometern Höhe zuschauen. Es waren Löcher in den Wolken, helle Flecken, die den Himmel in einen riesigen Flickenteppich aus Licht verwandelten.
Und die Flecken bewegten sich. Der Himmel war voll großer wandernder Formen aus Licht und Dunkelheit, die langsam entstanden und sich wieder auflösten wie Elemente eines Alptraums. Es war ein majestätischer, lautloser Fluss, ein Zeichen starker strato-sphärischer Turbulenzen, die sich weit entfernt von der windstillen Zone abspielten, in der sie stand.
Wundersam und wunderschön. Und sie war der erste Mensch, der das alles sah.
»… Ich habe Ihren Frost analysiert«, sagte Nemoto sachlich. »Es handelt sich um Tellur. Fast reines Metall. Auf der Venus verdun-229
stet Tellur in niedrigeren Höhen. Also ist es hier ausgefällt worden, wie Wasser auf unsren Bergen als Schnee ausgefällt wird.«
Schnee aus Metall, sagte Carole sich. Sehr bemerkenswert.
»Tellur ist aber selten«, sagte Nemoto verschmitzt. »Es macht ein Milliardstel Prozent unsres Oberflächengesteins aus, und wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass das Gestein auf der Venus deutlich davon abweicht. Tellur ist für eine technisierte Gesellschaft aber ein wertvolles Gut. Wir verwenden es für die Veredelung von Edelstahl, für die Elektrolyse, in der Elektronik und als Katalysator in der Erdölraffinerie. Wie ist es möglich, dass Tellur, dieses exotische Hightech-Material, in solchen Mengen auf der Venus vorkommt …?«
Die Ureinwohner, diese längst ausgerotteten Bakterien haben es jedenfalls nicht hier deponiert, sagte Carole sich. Besucher. Diejenigen, die lang vor uns und den Gaijin hierher gekommen sind.
Vielleicht waren sie die Säure-Atmer, die die Monde gebaut hatten.
Vielleicht sind sie hier abgestürzt, und das Tellur war ein Bestandteil des Schiffs: Alles, was nach achthundert Millionen Jahren noch von ihnen übrig ist, ein dünner metallischer Überzug auf den Bergen der Venus.
Plötzlich blitzte es hoch am Himmel. Nach einer Weile hörte sie etwas, das wie Donner klang. Heftige elektrische Stürme tobten in diesen hohen Wolken. Aber es gab natürlich keinen Regen.
Sie schaute gebannt auf die Wolken.
■
Sie marschierte weiter in südwestlicher Richtung und ließ das Landungsboot hinter sich. Bald näherte sie sich der Kante des Plateaus. Sie sah nicht das unterhalb gelegene Land; die Wand fiel offenbar steil ab.
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»… Ich will Ihnen sagen, was ich glaube«, flüsterte Nemoto. »Die Venus ist tatsächlich als Zwilling der Erde entstanden. Ich glaube, die Venus drehte sich so schnell wie die Erde oder der Mars und brauchte nicht mehr als ein paar Erdentage, um sich um die eigene Achse zu drehen; weshalb hätte die Venus sich darin auch unterscheiden sollen? Ich glaube, dass die Venus auch einen Mond hatte wie die Erde. Und ich glaube, dass sie Meere aus flüssigem Wasser hatte. Es gibt keinen Grund, weshalb die Venus bei ihrer Entstehung weniger Wasser gehabt haben sollte als die Erde. Es gab vermutlich Meere und Gezeiten …«
Ehe sie es sich versah, erreichte sie die Abbruchkante.
Eine Klippe, die hier und da Spuren von Erdrutschen aufwies, fiel unter
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