Das Muster der Liebe (German Edition)
ich, dass ich einen Teil meines Erbes unberührt lassen konnte. Und jetzt, da ich den Schritt gewagt hatte, überfielen mich immer häufiger tiefe Zweifel.
Margaret gelang es jedes Mal, mich völlig zu verunsichern. Ich wünschte, ich würde meine Schwester verstehen. Manchmal glaubte ich, sie hasste mich. Und ein Teil von mir erkannte das Problem: Mom und Dad hatten mir ihre gesamte Aufmerksamkeit geschenkt – aber ich hatte sie damals auch gebraucht. Ich weigerte mich zu glauben, dass meine Schwester ernsthaft dachte, ich wäre so hungrig nach Zuwendung gewesen, dass ich den Krebs
heraufbeschworen
hatte.
Ich hatte mich immer danach gesehnt, gesund und normal zu sein. Bis heute erschien mir mein Leben so, als würde ich unter einer Gewitterwolke stehen und ständig mit der Angst leben müssen, dass der Blitz wieder einschlägt. Konnte meine einzige Schwester mich nicht einfach verstehen und unterstützen?
Am Mittwochmorgen saß ich in meinem Schaukelstuhl und strickte ein Paar Socken für meine Auslage, als plötzlich das Glöckchen an der Ladentür bimmelte. Erwartungsvoll lächelnd sprang ich auf. Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ein Kunde und möglicher Kursteilnehmer könne den Laden betreten.
“Hallo.” Ein UPS-Fahrer mit einem Handwagen, der einen Meter fünfzig hoch mit Kisten beladen war, kam ins Geschäft. “Ich beliefere regelmäßig die Nachbarschaft und dachte, ich stelle mich einmal persönlich vor.” Er stellte die Karre ab und streckte mir die Hand entgegen. “Brad Goetz.”
“Ich bin Lydia Hoffman.” Wir schüttelten uns die Hände.
Er reichte mir ein elektronisches Clipboard, damit ich die Sendung abzeichnen konnte. “Wie läuft es denn so?”
“Es ist erst meine zweite Woche”, antwortete ich ausweichend. Ich wollte nicht zugeben, wie schleppend das Geschäft bisher anlief.
“Die Bauarbeiten sind sicherlich bald abgeschlossen. Und dann werden die Kunden in Scharen zu Ihnen kommen.” Er lächelte. Ich fühlte mich mit einem Mal getröstet und – so überraschend es war – auch zu ihm hingezogen. Mir fehlten Ermutigung und Anerkennung so sehr, dass das ein wohl nur allzu normales Verhalten war. Dieses besondere Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr empfunden. Heimlich warf ich einen Blick auf seinen Ringfinger und konnte zu meiner Erleichterung keinen Ehering entdecken.
Es ist eine Schande, es zuzugeben, aber meine sexuellen Erfahrungen beschränken sich auf einige unbeholfene Versuche auf dem Rücksitz des Wagens meiner Collegeliebe. Roger war während der zweiten Gehirnoperation an meiner Seite. Aber seine Anrufe und Besuche wurden weniger, nachdem ich die Chemotherapie begonnen hatte und mir alle Haare ausgefallen waren. Glatzköpfige Frauen sind nicht besonders attraktiv, auch wenn Roger das Gegenteil behauptete. Ich denke, es hing damit zusammen, dass er die Beziehung mit mir als zum Scheitern verurteilt ansah. Ich war schließlich eine Frau, die jederzeit sterben konnte. Jemand, der seine emotionale Investition möglicherweise niemals zurückzahlen konnte. Roger war eben ein Student der Wirtschaftswissenschaften.
Mein Freund auf der Highschool hieß Brian. Er reagierte damals ganz ähnlich wie Roger. Eine gewisse Zeit hielt er es noch mit mir aus, dann irgendwann verschwand auch er … Ich mache keinem von beiden einen Vorwurf daraus.
Meine Trennung von Brian – und später von Roger – war unumgänglich. Nach Roger gab es noch ein paar kleinere Affären, aber die waren meist nicht der Rede wert.
Diese Erfahrungen hätten mich lehren müssen, dass die meisten Männer keine romantischen Gefühle für eine zweimalige Krebspatientin hegen. Ohne wie eine Märtyrerin klingen zu wollen … ich verstehe, wie sie sich fühlen mussten. Warum sollte man sich emotional an eine Frau binden, die wahrscheinlich sowieso sterben wird? Ich weiß nicht einmal, ob ich Kinder bekommen kann – oder überhaupt sollte. Darüber denke ich nicht gern nach.
“Meine Großmutter hat gestrickt”, sagte Brad. “Ich habe gehört, dass Stricken in den letzten Jahren wieder in Mode gekommen ist.”
Die Entwicklung hält schon länger an, dachte ich, korrigierte ihn aber nicht. Verdammt, er sah wirklich gut aus, besonders wenn er lächelte – und das schien er oft zu tun. Seine Augen waren dunkelblau. In ihnen lag ein intensiver Ausdruck. Er war nicht übermäßig groß, was mir ebenfalls gut gefiel. Ich bin gerade einmal eins dreiundsechzig. Und wenn ich neben jemandem stehe,
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