Das Muster der Liebe (German Edition)
dachte.
Kurz bevor sie sich zum Nagelstudio aufmachen wollte, klingelte das Telefon. Für einen Moment war sie versucht, einfach nicht ranzugehen. Doch sie sah auf dem Display, dass Reese anrief. Widerstrebend nahm sie den Hörer ab.
“Du musst mir einen Gefallen tun”, sagte ihr Mann. “Ich bin gleich zu einem wichtigen Meeting verabredet und habe meinen Aktenkoffer zu Hause vergessen.”
“Soll ich ihn dir vorbeibringen?”, fragte sie. Das würde bedeuten, dass sie zu spät zu ihrem Termin im Nagelstudio käme. Jedoch hätte Reese nicht angerufen, wenn es nicht wichtig gewesen wäre. Sie hatte vor, an diesem Nachmittag einen nicht eben geringen Teil seines Vermögens im Kaufhaus auszugeben. Und so war das Mindeste, was sie tun konnte, ihm diesen kleinen Gefallen zu erweisen.
“Würdest du das machen, Jacquie? Ich würde ihn ja selbst holen, aber ich brauche die Akten so schnell wie möglich hier.”
“Bin schon unterwegs.”
Er erklärte ihr, dass der Aktenkoffer neben seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer stand. Jacqueline fand den Koffer dort. Das Arbeitszimmer gehörte zu Reese’ Reich im Haus, und sie ging nur selten hinein. Für einen Moment blieb sie dort und fuhr mit den Fingerspitzen über die perfekt angeordneten Bücher in den Mahagoniregalen. Manchmal rauchte Reese eine Zigarre, und der Duft von Tabak und Leder war in diesem Zimmer deutlicher wahrzunehmen als sonst im Haus.
Sentimentale Gefühle überkamen sie, und eine Sehnsucht bemächtigte sich ihrer. Sie konnte sich das nicht erklären. Ein dumpfer Schmerz durchfuhr sie, als sie an die Liebe dachte, die sie einst füreinander empfunden und so leichtfertig hatten einschlafen lassen. Die Liebe der frühen Jahre … Sie hatte nie zugelassen, dass die Erkenntnis der Einsamkeit, die sie in ihrer Ehe verspürte, sie überwältigte. In diesem Augenblick tat sie es, und die Traurigkeit legte sich wie eine eiskalte Hand um ihr Herz.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann oder warum genau ihre Liebe verloren gegangen war. Reese’ Dienstagsgeliebte war nur ein Symptom ihrer Entfremdung, nicht die Ursache. Sie hatten sich bereits voneinander entfernt, als diese Frau in sein Leben trat. Langsam, über einen Zeitraum von einigen Jahren, war Jacqueline und Reese die Nähe zueinander verloren gegangen. Und es lag an ihnen beiden – Reese war stur. Aber sie war es auch.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich ihre Ehe so, dass die beiden eher Wohngemeinschaft als Ehepartner, eher Freunde als Geliebte waren. Das geschah mit vielen Paaren – Jacqueline hörte von anderen Frauen immer wieder Geschichten dieser Art. Trotzdem half das in diesem Moment nicht gegen den Schmerz des Verlustes, der sie quälte. Kopfschüttelnd schob sie die düsteren Gedanken beiseite, ergriff den Aktenkoffer und ging in die Garage.
Sie rief vom Auto aus das Nagelstudio an und fuhr dann zur Blossom Street. Die Bauarbeiten gingen gut voran, obwohl das Parken in der Gegend immer noch unmöglich war. Ihr fiel auf, dass Reese ihr nicht gesagt hatte, wo sie das Auto abstellen konnte.
Sie versuchte ihn über das Handy zu erreichen, doch offenbar hatte er sein Mobiltelefon ausgeschaltet. Zweimal war sie bereits um den Block gefahren, aber sie fand noch immer keinen Parkplatz. Und in zweiter Reihe zu stehen war nicht möglich, weil die Straße einfach zu schmal war. Nachdem sie weitere zehn Minuten ihrer kostbaren Zeit damit vergeudet hatte, einen Parkplatz zu finden, hielt sie in der Gasse hinter dem
A Good Yarn
. Es war nicht die beste Gegend der Stadt, um einen teuren Wagen abzustellen. Lydia hatte sie ausdrücklich davor gewarnt, die Seitenstraße zu benutzen, aber Jacqueline sah keine andere Möglichkeit. Die Gasse war eng und dunkel, und unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken, als sie hastig den Wagen abschloss.
Als sie auf der Baustelle ankam, konnte sie Reese nirgends entdecken. Sie ging zum Container, in dem das provisorische Architekturbüro untergebracht war. Der Projektmanager begrüßte sie. Jacqueline wusste nicht mehr, wie er hieß, obwohl sie sich sicher war, dass Reese diesen jungen Mann schon einmal erwähnt hatte. Es war allerdings schon lange her, dass sie sich die Mühe machte, die Namen seiner Angestellten zu kennen.
“Danke”, sagte der jugendlich wirkende Mann zu ihr. “Reese war ziemlich aufgebracht, weil er den Koffer zu Hause vergessen hatte.”
“Kein Problem, ich habe gern geholfen”, murmelte Jacqueline und kletterte über einige
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