Das Muster der Liebe (German Edition)
und wir versuchen einander nicht anzusehen. Meistens stricke ich oder lese Magazine, die teilweise Monate oder gar Jahre alt sind.
Ein Vorteil von Dr. Wilsons Praxis ist, dass die Mitarbeiter des Arztes inzwischen zu einer Art Familie für mich geworden sind – besonders Peggy, die Krankenschwester.
Peggy arbeitete schon für Dr. Wilson, als ich meinen ersten Termin bei ihm hatte. Das ist mittlerweile fünfzehn Jahre her. Ich konnte mich an ihre Schwangerschaften erinnern. Und ich konnte mich daran erinnern, dass ich Angst hatte, die Geburt ihres zweiten Kindes nicht mehr zu erleben.
“Lydia.” Peggy stand in der Tür und hielt meine Krankenakte im Arm, die mittlerweile bestimmt zwanzig Pfund wog. Meine Krankengeschichte war gefüllt mit Details der unterschiedlichen Symptome und Behandlungen sowie der Auflistung der verschiedenen Medikamente, die ich eingenommen hatte.
Als ich aufstand, schien es, als würde mich jeder im Wartezimmer anstarren. Wäre ich ein extrovertierter Mensch gewesen, wäre ich vielleicht aufgesprungen und hätte erzählt, dass ich in der Lotterie des Lebens zweimal den Hauptgewinn gezogen hatte. Da ich jedoch von zurückhaltender Natur war, räumte ich mein Strickzeug zusammen, stopfte es in meine Tasche und folgte Peggy.
“Wie geht es Ihnen?”, fragte sie, nachdem sie mich gewogen und einen Eintrag in meine Akte gemacht hatte.
“Sehr gut”, antwortete ich, stieg von der Waage und stellte mit Genugtuung fest, dass mein Gewicht seit der letzten Untersuchung etwa gleich geblieben war. Peggy führte mich zu einem abgetrennten Raum am Ende des Flures, wo sie mir ein Fieberthermometer unter die Zunge schob und mein Handgelenk ergriff. Sie blickte auf ihre Uhr und trug meinen Pulsschlag in meine Akte ein. “Guter, kräftiger Herzschlag”, sagte sie zufrieden.
Das hoffte ich. Meine Krankenversicherung hatte eine Menge bezahlt, damit mein Herz auch heute noch kräftig schlug. Ich hätte ihr gern von meinen Gedanken erzählt, aber ein Gespräch war im Augenblick unpassend.
Peggy war gerade dabei, meinen Blutdruck zu messen. Sie pumpte Luft in die Manschette des Blutdruckmessgeräts, das sie mir um den Oberarm gelegt hatte. Es entstand ein unangenehmer Druck, bevor die Luft langsam wieder abgelassen wurde. Als sie fertig war, nickte sie. “Sehr gut.”
Zum Schluss zog sie das Thermometer unter meiner Zunge hervor. “Fühlen Sie sich gut?”
“Ich fühle mich hervorragend.”
Peggy lächelte. “Ich sehe, dass Ihre Augen ganz besonders strahlen. Sie haben jemanden kennengelernt, habe ich recht?”
“Ach, nicht wirklich”, wiegelte ich ab. Trotzdem verspürte ich das Bedürfnis, ihr von Brad zu berichten. Doch schließlich tat ich es doch nicht, denn eigentlich gab es nicht viel zu erzählen. Noch nicht. Bislang waren wir noch zweimal gemeinsam etwas trinken gewesen und hatten zwei- oder dreimal die Woche telefoniert, manchmal über eine Stunde lang. Er kam einmal pro Woche in meinen Laden und manchmal – aber wirklich nur manchmal – küssten wir uns.
Brad und ich waren gerade erst dabei, uns kennenzulernen. Es war noch nichts Ernstes. Brad hatte viel damit zu tun, sich um seinen Sohn zu kümmern. Und ich war mit meinem Laden sehr beschäftigt. Wir waren Freunde. So wie ich auch mit Carol Girard befreundet war. Gut, vielleicht nicht ganz genauso. Im Augenblick reichte mir das aber, und auch für ihn schien es gut zu sein.
“Haben Sie jemanden getroffen?”, fragte Peggy noch mal.
Zögerlich nickte ich.
Sie sah aus, als würde sie jeden Moment anfangen zu applaudieren. “Ich wusste immer, dass Sie irgendwann einmal einen netten Mann kennenlernen würden”, sagte sie und lächelte zufrieden.
“Peggy, ich bin bereits dreißig Jahre alt.”
“Und?”
Es ist peinlich, so durchschaubar zu sein. Besonders in meinem Alter, aber auch das ist eine Folge davon, dass ich im Teenageralter Krebs hatte. Meine soziale Entwicklung scheint an dem Tag, an dem ich meinen Führerschein ausgehändigt bekam, stagniert zu haben. Ich will auf keinen Fall so klingen, als würde ich vor Selbstmitleid zerfließen, denn so ist es nicht. Man muss diese Tatsache nur einfach mit einbeziehen, wenn es um das Thema Partnerschaften geht.
Ich kannte den Ablauf der Routineuntersuchungen mittlerweile ziemlich genau. Daher wusste ich, dass es nun an der Zeit war, meinen Arm auszustrecken, damit Peggy mir Blut abnehmen konnte. Und zwar viel davon. Irgendwann einmal sagte ich zu ihr, ich sollte Geld für
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