Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
besser,
das Schlimmste zu befürchten als zu sorglos zu sein. Auf den hohen Felsen links
und rechts des Strandes postierte ich mehrere Wachen, die sich alle paar
Stunden abwechselten. So waren wir vor unliebsamen Überraschungen sicher.
Für die Nacht machten es sich alle am Strand so bequem wie
möglich und versuchten zu schlafen.
Am nächsten Morgen schien die aufgehende Sonne auf eine
traurige Szenerie. Das Schiffswrack war auseinander gebrochen, etliche
Trümmerteile schwammen zwischen den schroffen Klippen. Die Männer machten sich
daran, die noch immer im Wasser treibenden Leichen ihrer Kameraden zu bergen
und am Strand unter Steinen zu begraben.
Andere sammelten die an Land gespülten Holzteile zusammen,
um ein Feuer zu machen.
Der Aufklärungstrupp war zurückgekehrt und brachte die
Nachricht, dass etliche der anderen Schiffbrüchigen weiter südlich lagerten.
Mindestens drei Schiffen waren die Klippen zum Verhängnis
geworden, aber der Großteil der Flotte hatte sich auf die offene See retten
können. Sie würden bald den Hafen von Brindise erreichen.
Rainulf von Aversa hatte bereits einen Boten dorthin
geschickt, um Meldung zu machen und Hilfe anzufordern.
Schon am folgenden Tag traf eine Hilfstruppe ein, die
genügend Pferde und Maultiere mitbrachte, um die Verletzten abzutransportieren.
Bis zum Abend war die Rettungsaktion abgeschlossen und alle Gestrandeten im
Hauptlager in der Nähe von Otranto eingetroffen.
Vorläufig konnte ich unmöglich in die Heimat aufbrechen.
Zunächst musste Knut, mein verletzter Waffenknecht, wieder genesen. Die
Schulter war schnell wieder eingerenkt, sein Bein war gerichtet und geschient,
aber bis er wieder richtig reiten und laufen konnte, vergingen sicher noch
einige Wochen.
Die thüringischen Ritter machten sich indes zum sofortigen
Aufbruch in die Heimat bereit. Einem dieser Ritter vertraute ich zwei Briefe
an. Ein Brief war an meinen Vater gerichtet und der andere an Constance. Ich
wollte sie nicht im Ungewissen lassen und teilte ihnen mit, dass es mir gut
gehe und ich noch einige Wochen in Italien bleiben würde, um dann im Spätsommer
die Alpen zu überqueren. Dann wollte ich von Konstanz aus den Heimweg antreten
und spätestens im Herbst wieder zu Hause sein.
Am Abend setzte Rainulf uns über die politische Lage in
Kenntnis, die alles andere als ruhig war. Es herrschte Krieg. Die päpstlichen
Truppen waren in Apulien einmarschiert, das zum Königreich Sizilien gehörte,
der Heimat unseres Kaisers. Sie hatten bereits große Teile Süditaliens besetzt.
Wir befanden uns auf besetztem Gebiet.
Die vom Papst verbreitete Lüge über den angeblichen Tod
Friedrichs in Outremer hatte seiner Armee die Türen vieler Städte geöffnet und
einige der wankelmütigen einheimischen Barone auf seine Seite gezogen. Nur
wenige kaisertreue Adlige leisteten noch Widerstand. Das päpstliche Heer stand
bereits vor der Insel Sizilien und war bereit, überzusetzen.
Es galt, keine Zeit zu verlieren. Unser Kaiser schäumte vor
Wut, behielt aber trotzdem einen kühlen Kopf. Er gönnte seinem Heer nur ein
paar Tage Ruhe, die er nutzte, um die Vorräte aufzufüllen und alles für einen
erneuten Feldzug vorzubereiten. Diesmal ging es nicht um die Befreiung des
Grabes Christi, sondern um sein eigenes Land.
Sein Großvater mütterlicherseits, der Normanne Roger II.,
hatte Kastilien, Apulien und Sizilien zum Königreich Sizilien vereint.
Friedrich selbst war bereits als kleines Kind zum König von Sizilien gekrönt
worden. Hier war er als Federico aufgewachsen, als das Kind von Apulien, wie
man den kleinen König damals nannte. Die Regierungsgeschäfte hatte bis zu ihrem
Tod seine Mutter Konstanze von Sizilien übernommen.
Es war seine Heimat und er fühlte sich noch immer eher als
König von Sizilien denn als Kaiser des Römischen Reiches Deutscher Nation.
„Wirst du dem König von Jerusalem helfen, sein Königreich
Sizilien zurückzuerobern?“, fragte Graf Rainulf mich abends am Lagerfeuer.
„Er ist mein Kaiser“, antwortete ich, „außerdem habe ich
nichts besseres vor. Vorläufig kann ich die Heimreise nicht antreten, ohne das
Leben meines verletzten Waffenknechts aufs Spiel zu setzen. Es ist Frühling,
also haben wir noch viel Zeit, um vor dem Herbst über die Alpen zu kommen.“
Rainulf grinste und schlug mir auf die Schulter.
Knut gab ich in die Obhut eines einheimischen Arztes und
versprach, ihn nach seiner Genesung in einigen Wochen abzuholen, um gemeinsam
die
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