Das mysteriöse Pergament 02 - Irrwege (German Edition)
dabei. Sie
trug einen einfachen Leinenkittel und derbe Holzpantinen. Mit einem Tuch
umwickelte sie ihre langen Haare und verknotete es am Hinterkopf. „Ich bin
nämlich heute dran mit saubermachen“, erklärte Bella. „Das geht bei uns
reihum.“
Zusammen wischten sie die Holzzuber aus. „Godefroy achtet
auf peinliche Sauberkeit“, sagte Bella. „Das gilt sowohl für die Badestube wie
auch für alle anderen Räume, einschließlich ihrer Bewohner.“
Line wunderte sich, wie respektlos Bella den Vornamen
gebrauchte, wenn sie über ihren Herrn sprach. Auch das war durchaus nicht
üblich und verstieß gegen jede Anstandsregel. Dennoch sagte Bella nur Gutes
über ihren Herrn, den sie offensichtlich respektierte.
„Wir sind kein gewöhnliches Badehaus, in dem man sich alle
möglichen Krankheiten holen kann. Deshalb kommen auch nur gut zahlende Gäste zu
uns“, plapperte das junge Mädchen vergnügt weiter. „Einmal im Monat kommt sogar
der Medicus, um uns zu untersuchen. Sollte eine von uns krank sein, darf sie
nicht arbeiten.“
Das hörte sich sehr fürsorglich an, obwohl Line nicht
einleuchten wollte, warum ein Arzt kam, um Krankheiten festzustellen.
Üblicherweise wurde er gerufen, wenn jemand bereits erkrankt war. Sie fragte
Bella danach.
Wieder ließ das Mädchen ihr helles Lachen erklingen. „Der
Arzt soll auch versteckte Krankheiten erkennen, bevor sie richtig ausbrechen.
Das wäre sehr geschäftsschädigend. Ich meine vor allem Krankheiten, die
bestimmte Körperregionen betreffen – wenn du verstehst, was ich meine.“
„Oh!“ Langsam dämmerte es Line, dass die so genannten Damen den Gästen nicht nur beim Rückenschrubben halfen, sondern auch Dienste anderer
Art anboten. Zwar war sie noch nie in einem Badehaus gewesen, aber sie hatte
darüber reden hören, dass in einigen auch Hurendienste angeboten wurden.
Seit sie in der Stadt war, hatte sie beim Wasserholen am
Brunnen neben Klatsch und Tratsch auch so manches aufgeschnappt, wovon sie
vorher keine Ahnung hatte. Unwillkürlich errötete sie bei diesem Gedanken.
„Ich sehe, du verstehst langsam“, stellte Bella belustigt
fest.
„Was meinst du?“, fragte Line, jetzt die Ahnungslose
spielend, um dem Mädchen mehr Einzelheiten zu entlocken.
„Stell dich nicht so dumm, Caroline. Nur ein zufriedener
Gast kommt wieder“, erklärte Bella bestimmt. „Das ist das Motto unseres Herrn.
Wir kümmern uns um die körperlichen Bedürfnisse: Essen, Trinken, Reinlichkeit
und äh…“, Bella unterbrach sich kurz und suchte nach einem passenden Ausdruck.
„…Entspannung“, ergänzte sie schließlich. „Dabei sind wir bemüht, alle Bedürfnisse bestmöglich zu erfüllen.“
„Und wenn ein Gast nun ganz bestimmte – äh, Bedürfnisse
hat?“, hakte Line scheinheilig nach.
„Du meinst körperliche Gelüste? Natürlich werden auch die
befriedigt“, sagte Bella, während sie erneut ihren Lappen in die Lauge tauchte.
„Aber keine Sorge“, ergänzte sie mit einem Seitenblick,
„keine von uns wird gezwungen, Dinge zu tun, die sie nicht tun will. Das ist ein
ungeschriebenes Gesetz, das von den Gästen – naja, mehr oder weniger –
akzeptiert wird.“
„Aha“, Line beschäftigte sich intensiv mit einem der
Bottiche. „Sind alle weiblichen Bediensteten hier – äh, Damen ?“, wollte
sie wissen.
Erneut lachte Bella vergnügt. „Aber nein, die dicke Köchin
will keiner mehr haben. Auch die Küchenhilfen arbeiten nicht im Badehaus. Und
dann ist da noch ein Mädchen, das seine erste Blutung noch nicht hatte. Sie
hütet draußen das Kleinvieh, ein paar Hühner und Gänse.“
Plötzlich wurde Bella ernst. „Weißt du, Caroline, es gibt
Kunden, die wollen gerade solche Mädchen. Aber unser Herr lässt das nicht zu.“
Erleichtert atmete Line auf. Sie war unter keinen Umständen
bereit, Dirnendienste zu leisten.
Bella schien Lines Erleichterung bemerkt zu haben. „Godefroy
zwingt niemanden“, wiederholte sie. „Er lässt dich sicher zunächst als Magd
arbeiten. Aber er hat natürlich eine gewisse – sagen wir mal –
Erwartungshaltung. Du bist hübsch und er ist ein Geschäftsmann.“
„Lieber stelle ich mich den Bütteln, als mich zur Hure
machen zu lassen“, brauste Line auf.
Bella senkte den Blick.
„Entschuldigung, Bella“, sagte Line kleinlaut, „ich wollte
dich nicht kränken.“
„Schon gut. Du hast ja nicht mich gemeint. Du hast
von dir gesprochen. Außerdem bin ich einiges gewöhnt, was
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