Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
wünschte.
Unter dem Gesinde auf dem Hof konnte Line Antonia entdecken,
die strahlte, als wäre sie selbst die Braut.
Neben ihr stand Wenzel, dessen linke Schulter schräg nach
unten abfiel. Er hatte einige Monde gebraucht, um sich von seiner schweren
Verletzung zu erholen. Während der gesamten Zeit war Antonia kaum von seiner
Seite gewichen. Eine Zeit lang hatte Line geglaubt, er würde es nicht schaffen,
aber dann war das Fieber gesunken und die Wunde heilte endlich zu.
Er würde seinen linken Arm nie wieder voll belasten können,
aber das war ihr angesichts des zertrümmerten Schulterblattes von Anfang an
klar gewesen. Trotz seines Handicaps hatte Conrad ihn zur großen Freude von
Antonia zu seinem Stallmeister gemacht. Wenzel wollte das Amt zunächst
ablehnen, weil er sich wie ein unnützer Krüppel vorkam. Aber Conrad hatte ihm
klar gemacht, dass er ihn wegen seiner Fähigkeit ausgesucht hatte, mit Tieren
umzugehen und wegen des Respekts, den die Stallburschen ihm entgegenbrachten.
Nach dem feierlichen Einzug der Hochzeitsgesellschaft auf
dem Gut Kölzow nahm Conrad Lines Arm und führte sie in die große Halle, um mit
ihr an der Stirnseite der Tafel Platz zu nehmen.
Erst nachdem Conrad und Line sich gesetzt hatten, nahmen
auch alle anderen Gäste Platz.
Da nach dem langen Winter die Nahrungsvorräte nahezu
aufgebraucht waren, hatte man aus der Stadt allerlei Köstlichkeiten anfahren
lassen.
Albrecht von Uritz hatte als besondere Überraschung sogar
eine kleine Gauklertruppe aufgetrieben, die mit allerlei mehr oder weniger
anspruchsvollen Darbietungen und zotigen Scherzen für angenehme Abwechslung
sorgte.
Mit einem Trommelwirbel wurde der Höhepunkt ihres Programms
angekündigt. Alle Gäste schauten auf, als ein kunterbunt gekleideter Jüngling
mit einem auffällig dick gepolsterten Wams in den Saal geschritten kam. Seine
eng anliegenden Beinlinge waren zweifarbig und seine mit Troddeln verzierte
Kappe verbarg sein Haar vollständig. Augen und Mund waren auffällig geschminkt,
so dass sie viel größer wirkten.
Der Jüngling stolzierte im Kreis umher und jonglierte dabei
mit zweischneidigen Messern, zuerst mit dreien, dann mit vieren und schließlich
mit fünfen gleichzeitig. Dann bat er die Anwesenden, eines der breiten, derben
Bretter, die als Tischplatte dienten, hochkant an die Wand zu stellen.
Theatralisch fragte er, ob sich ein besonders mutiger Mann
unter den Gästen befände, der ihm bei der nächsten Darbietung assistieren
wolle.
Kaum war die Frage ausgesprochen, als zum Erstaunen und
Entsetzen der Gäste der Knabe Geronimo vortrat und sich vor dem Jüngling
verneigte. „Selbst der Ängstlichste unter den hier Anwesenden ist mutig genug“,
sagte er fast genauso theatralisch.
Dafür erntete er tosenden Beifall.
Alle hielten den Atem an, als Geronimo sich nach der
Anweisung des Gauklers mit ausgebreiteten Armen und gespreizten Beinen vor das
Holzbrett stellte.
Der Gaukler ging zu Geronimo, korrigierte noch einmal seine
Stellung, drehte sich um und maß zehn Schritte ab. Dann drehte er sich um und
warf im nächsten Moment das erste Wurfmesser. Haarscharf neben dem Kopf des
Jungen schlug es in das Holz und blieb zitternd stecken. Schnell hintereinander
warf der Jüngling auch die anderen Messer, bis alle rechts und links neben
Geronimo im Holz steckten, der nicht ein einziges Mal zuckte.
Nachdem das letzte Messer direkt neben dem Ohr des Jungen
gelandet war, verbeugte sich der Messerwerfer galant und hob dabei die Mütze.
Gleichzeitig löste er seinen Gürtel und ein langer Rock, der hochgebunden unter
dem Wams versteckt gewesen war, fiel über die Beinlinge um die Füße bis zur
Erde.
Jetzt wurde den Zuschauern klar, warum das Wams so dick
ausgesehen hatte. Als der Messerwerfer sich wieder aufrichtete, war er kein
Jüngling mehr, sondern ein junges Mädchen mit strohblonden Haaren, die ebenso
wie bei Geronimo in alle Richtungen abstanden.
Conrad und Line hatten Antonia bereits vor der Demaskierung
erkannt. Deshalb hatten sie sich als Einzige auch nicht gewundert, dass
Geronimo sich als Zielscheibe zur Verfügung gestellt hatte.
Belustigt hatte Conrad beobachtet, wie auch Hannes und
Constance bei jedem Wurf den Atem angehalten hatten. Sie konnten ja nicht
wissen, wer sich unter der Maskerade verbarg und wie sicher Antonia mit den
Messern war.
Die Gäste brauchten einige Zeit, um sich von ihrem Erstaunen
zu erholen, als der Messerwerfer sich als Lines Zofe entpuppte.
Aber dann
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