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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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du da getan?« fragte Amiel.
    »Ich habe ein Kreuz geschlagen.«
    »Laß das in Zukunft. Es ist zu nichts anderem nütze, als die Fliegen zu vertreiben.«
    Warum sagte er so etwas? »Herr, damit rufe ich die Dreieinigkeit an.«
    »Indem du ein Kreuz schlägst? Nein. Christus hat nicht am Kreuz gehangen, es wäre seiner unwürdig gewesen.«
    »Aber –« Nemo stand der Mund offen.
    Er schlug auf den Tisch. »Ich bin jetzt dein Meister! Vergiß die Kirche. Priester, die eine Geliebte haben – wie können sie
     mit ihrer unwürdigen Hand die Sakramente darbieten? Ihre Hand ist entweiht! Priester, die sich bereichern am Gut der Gläubigen
     – wie kann aus ihrem Mund die Wahrheit kommen? Die Messe eines Priesters, der in Sünden lebt, ist ungültig. Die Sakramente
     aus seiner Hand sind wirkungslos. Nur wer vollkommen rein ist wie ich, kann Erlösung bringen. Ich habe die Sünde abgelegt,
     ich beherrsche die bösen Gelüste und schlage sie nieder, wann immer sie sich regen wollen. Vergiß, was dir gefallene Priester
     sagen! Hast du mich verstanden?« Etwas Mörderisches blitzte in den grünen Augen Amiels.
    |175| Nemo nickte. »Ja, Herr.« Er dachte an das, was Adeline gesagt hatte. Aber es konnte unmöglich Amiel gewesen sein, wer auch
     immer im Kerker saß, Amiel war frei, er war ja seit den Morgenstunden mit ihm unterwegs gewesen. Allerdings hatte sie recht,
     er war ein gefährlicher Mann, möglicherweise war er zu einem Mord fähig.
    »Schwöre, daß du nie wieder ein Kreuzzeichen schlagen wirst.«
    »Nie wieder? Es gibt so viele Gelegenheiten, zu denen es sich gehört, ein Kreuz zu schlagen. Auch nicht beim Betreten der
     Kirche?«
    Amiel schwieg eine Weile. »Du hast recht, es würde dich verdächtig machen, wenn du in der Kirche kein Kreuz schlägst. Deshalb
     will ich dir diese Ausnahme gestatten. Wenn du beobachtet wirst, zeige das Kreuz und sage folgenden Vers:
Aysi es le front et aysi es la barba et aysi la una aurelha et aysi l’autra. «
    »Ich verstehe nicht.«
    »Es ist Okzitanisch. Es bedeutet: Hier ist die Stirn, hier ist der Bart, hier ist ein Ohr und da das andere. Du wirst es noch
     lernen.«
    Er schluckte trocken. Was, wenn Amiel von Ax kein Betrüger war? Wenn er wirklich glaubte, was er da sagte? Es wurde still
     am Tisch. Der Koch knirschte mit den Zähnen. Er hielt den Blick gesenkt. Nemo konnte förmlich spüren, wie er unter der Mißachtung
     seiner Speise litt.
    Amiel starrte auf die dampfende, duftende Mahlzeit. Seine Augen wurden feucht. Am Hals ruckte sein Adamsapfel.
    »So nehmt!« sagte Nemo. Hatte Amiel nicht gestern gefastet? Er mußte rasenden Hunger verspüren.
    Amiel von Ax lehnte sich zurück. Mit verächtlich verzogenem Mund sagte er: »Der Wille ist stärker als das Fleisch. Ich widerstehe.«
    Nun konnte der Koch nicht länger an sich halten. Er platzte heraus: »Ihr wolltet, daß ich die Fischterrine koche! Wie kann
     man Gottes Gaben so verachten!«
    |176| »Ich übe meine Selbstbeherrschung an dieser Speise. Laß sie hier stehen. Ich will mich einige Stunden an ihr messen.«
    Und wir? dachte Nemo. Essen wir auch nichts? Der Duft lockte, der weiße, weiche Fischbauch vor ihm rief förmlich danach, aufgebrochen
     und geschluckt zu werden.
    »Laßt mich allein«, sagte Amiel.

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    »Mein lieber Amiel«, sagte er, als sich die Tür hinter dem Koch und dem Streuner geschlossen hatte, »mein lieber Amiel.« Er
     schüttelte den Kopf. »Hattest du insgeheim vor, den Fisch zu essen?« O ja, er hatte es vorgehabt, sein schwaches Fleisch hatte
     ihm diesen Wunsch untergeschoben wie ein scharfkantiges, böses Geschenk.
    Was hatte seine Seele zu leiden in diesem Gefängnis, in dieser Hölle! Sie blutete. Es verlangte sie nach dem Himmel. Nach
     Freiheit und Güte. Unnachgiebige Strenge war der einzige Weg dorthin.
    Er schloß die Augen, saß einfach mit geschlossenen Augen da und atmete. Du hast deinen Sohn getötet heute nacht, dachte er.
     Der Gedanke schnürte ihm den Hals zu.
    »Befreit!« sagte er. »Befreit habe ich ihn! Er war zu schwach. Er konnte es nicht schaffen in diesem Körper.« Seine Seele
     war gewiß zu einem neuen Körper geflogen, er würde von neuem beginnen, vielleicht als Pferd, vielleicht als Ratte.
    Er ist tot, sagte eine Stimme in ihm. Amiel schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Knall und der Schmerz in der Hand
     ließen die Stimme verstummen. Diese Welt war das Werk des Bösen, und er würde ihr entfliehen, er würde es schaffen.

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