Das Nest
gewissem Nutzen, wenn Sie mir folgen können?«
Lindsay zündete sich die nächste Zigarette an. »Und, sehen Sie, genau das ist mein Problem, Ms. Barber. Simon Crabtree ist ein Mörder und ich will, daß er aus dem Verkehr gezogen wird.«
»Es wundert mich einigermaßen, daß die protestantische Moral anscheinend noch immer so tief in Ihnen verwurzelt ist – in Hinblick auf Ihren sonstigen Lebensstil. Hinter einer radikalen lesbischen Feministin hätte ich keinen derart flammenden Gerechtigkeitsapostel erwartet«, bemerkte Barber sarkastisch.
»Mir geht es um keinen abstrakten Begriff von Gerechtigkeit«, gab Lindsay zurück. »Mir geht es um Leben und Tod. Das Leben und das Sterben einer Frau, die mir etwas bedeutet. Sehen Sie, niemand hat Simon Crabtree zu verstehen gegeben, daß er keine Verfolgung zu befürchten hat. Und er ist der Meinung, daß Deborah Patterson über Informationen verfügt, die ihn mit dem Mord an seinem Vater in Verbindung bringen. Solange er nicht hinter Gittern sitzt, ist Deborah Patterson in Gefahr, und ich kann einfach keinen Handel eingehen, der in Kauf nimmt, daß sie dabei draufgeht. Also, es tut mir leid, aber ich werd’s nicht tun. Ich muß meine Story veröffentlichen. Ich muß Simon Crabtree unschädlich machen.«
»Das ist eine wenig vorausblickende Sicht der Dinge«, antwortete Barber ruhig. »Wenn Sie die Bedingungen nicht annehmen, wird Deborah sich in genau derselben Gefahr befinden wie jetzt.«
Lindsay schüttelte den Kopf. »Nein. Auch wenn es mir nicht gelingt, die Geschichte herauszubringen, ist zumindest die ärgste Gefahr abgewandt. Ich kann sie an einen Ort bringen, wo er uns nie findet.«
Harnet Barber lachte leise. »Ich glaube, Sie verstehen nicht ganz, Miss Gordon. Falls Sie unser Angebot ausschlagen, werden Sie nicht in der Lage sein, Deborah irgendwohin zu bringen. Weil Sie selbst nämlich nirgendwohin kommen werden. Unfälle, Miss Gordon, passieren oft allzu rasch.«
SIEBZEHN
Das Telefon läutete, als sie die Tür aufschloß, aber bevor Cordelia beim Apparat war, schaltete sich schon der Anrufbeantworter ein. Wird schon nicht so dringend sein, dachte sie und lief die Stufen hinauf. Sie zog ihre Lammfelljacke aus, die Hausschuhe an und durchquerte das Schlafzimmer auf dem Weg zum Arbeitsraum, wo sie ihre Aktenmappe deponierte. Dann begab sie sich in Richtung Küche. Sie machte die Kaffeemaschine klar und ging in Erwartungshaltung zurück zur Pinnwand, wo sie im Vorbeihasten Lindsays Nachricht erspäht hatte. Sie wünschte, es wäre ihr möglich gewesen, nach Brownlow hinunterzufahren, als Lindsay sie gebraucht hatte und freute sich, daß die vermeintlich in fremden Gefilden irrende Geliebte innerhalb der nächsten halben Stunde zu Hause sein würde. Erst dann spulte sie die Nachrichten auf dem Gerät zurück.
Sie waren alle für Lindsay und kamen ausnahmslos von Duncan, wobei die jeweils nächste immer eine Spur wütender klang als die vorhergehende. Es gab vier an der Zahl, die erste von mittags, und die letzte die, die sie knapp verpaßt hatte. Es ging um eine dringende Nachfrage der Clarion Rechtsabteilung, die ihren Artikel betraf, und Duncan war offensichtlich aufgebracht wegen Lindsays Mangel an Kontaktbereitschaft. Cordelia seufzte. Es ging sie ja wirklich nichts an, aber sie spielte mit dem Gedanken, Duncan anzurufen, um ihn mit der Aussicht zu beruhigen, daß Lindsay jeden Augenblick eintreffen konnte. Sie war sogar schon dabei, die Nummer zu wählen, als sie beschloß, den Hörer wieder aufzulegen. Lindsay würde sich schön bei ihr bedanken, wenn sie Duncan noch weiter auf die Palme brachte. Und wie Cordelia ihn kannte, war dies durchaus im Bereich des Möglichen.
Cordelia goß Kaffee in einen Becher, schnappte sich die Morgenzeitung und machte es sich im Wohnzimmer bequem. Bevor sie zu lesen begann, entschied sie, daß ihr etwas beruhigende Musik gut tun würde und ging hinüber zur Platten- und Kassettensammlung, um ihre aktuelle Lieblingsmusik herauszusuchen – eine Mozart und Puccini Arienauswahl gesungen von Renata Tebaldi. Sie ließ die Kassette in den Recorder gleiten und stellte leicht verärgert fest, daß er nicht ausgeschaltet worden war und in dem anderen Deck ein unbekanntes Band steckte. Neugierig spulte sie es zurück und drückte den Einschaltknopf. Sie wunderte sich nicht lange über das folgende Gewinsel und die Zischlaute, sondern hielt das Ganze für eines von Lindsays eigenartigen Experimenten. Nachdem sie abgeschaltet
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