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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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wieder so versetzt wie gestern, gibt es keine Entschuldigungen mehr. Verstanden?« Am anderen Ende landete der Hörer mit einer solchen Wucht in der Gabel, daß Lindsay das Gespräch im Zustand mittlerer Taubheit beendete, aber es machte ihr nichts aus. Sie hatte sich durchgesetzt, und Duncan spielte nur den Büro-Wüterich, um ihre Kolleginnenschaft zu terrorisieren.
    Seufzend kletterte sie aus dem Bett und zog schnell eine Jeans und einen dicken Pulli über. Sie warf einen Blick ins Gästezimmer, wo Cordelia tief und fest schlummerte. Es tat gut, wieder zu Hause zu sein. Die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden hatten sie davon überzeugt, daß sie sich auf Cordelia immer noch hundertprozentig verlassen konnte – obwohl sie häufig mit anderen Dingen beschäftigt war. Mit einer Handvoll Münzen in der Jackentasche steuerte Lindsay Highbury Fields an. Sie würde vorsichtig sein müssen. In derartigen Situationen hätte sie die Unterstützung Cordelias gut brauchen können, aber sie wollte sie nicht unnötig in Gefahr bringen. Lindsay brachte es nicht fertig, Cordelia aus rein egoistischen Motiven ins Vertrauen zu ziehen. Sie verscheuchte diese Gedanken, als sie bei der Telefonzelle anlangte. Wenigstens diesmal würde das Gespräch nicht von Harriet Barber angezapft werden. Sie wählte die Nummer des Krankenhauses in Fordham, wo sie sich als nahe Verwandte ausgab. Nach einigen Schwierigkeiten fand sie einen Arzt, der die Ansicht vertrat, Deborah könne nun ohne übermäßiges Risiko transportiert werden. Die Verantwortung wollte er jedoch nicht übernehmen.
    Dann folgten einige Anrufe, darunter einer bei ihren Eltern in Argyllshire. Die nötigen Schritte wurden mit einem Minimum an Aufwand in die Wege geleitet, dann ging sie zurück nach Hause. Sie machte Kaffee, zog sich aus und stieg unter die Dusche. Genießerisch blieb sie im heißen Wasser stehen.
    Sie wollte den Moment möglichst lange hinausschieben, in dem sie Cordelia aufwecken und ihr beichten mußte, daß sie schon wieder im Begriff war, spurlos zu verschwinden. Sie konnte wirklich nicht behaupten, daß sie sich darauf freute, besonders, wo die Geschichte mit Deborah immer noch zwischen ihnen stand.
    Sie kletterte aus der Dusche und rubbelte mit dem Handtuch ihren Körper trocken. In der Küche starrte Cordelia melancholisch in ihren Becher voll Kaffee. Lindsay drückte sich an ihr vorbei und nahm neben ihr Platz. Sie griff über den Tisch nach einem offenen Zigarettenpäckchen und zündete sich nervös eine an.
    Cordelia nahm die Morgenzeitung und begann, das Titelblatt zu lesen. Lindsay räusperte sich und begann unbeholfen: »Danke für vergangene Nacht. Wenn du nicht gewesen wärst, ich weiß nicht, was passiert wäre.«
    Cordelia zuckte mit den Achseln. »Nicht der Rede wert. Ich war halb verrückt vor Angst um dich, weißt du. Kannst du schon darüber reden?«
    »Lieber würd’ ich warten, bis alles vorbei ist, wenn du’s okay findest. Ich muß noch einmal für ein paar Tage weg.« Cordelia schwieg und blätterte um. »Wir bringen Debs an einen Ort, wo sie sicher ist. Sobald das erledigt ist, kann ich dir die ganze Geschichte erzählen. Nicht, daß ich dir nicht vertraue, aber nach der letzten Nacht will ich dich keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Ich genieße diese Geheimnistuerei überhaupt nicht, aber ich weiß jetzt, wie unangenehm diese Leute werden können.«
    »Du hättest mir wenigstens irgend etwas erzählen können«, meinte Cordelia müde lächelnd. »Aber in Ordnung, Lindsay. Du machst es auf deine Art. Wann wirst du zurück sein?«
    »Ich bin nicht sicher. Ich ruf dich an, wenn ich’s weiß.«
    Lindsay spülte die Reste ihres Kaffees hinunter und ging zurück ins Schlafzimmer. Sie zog sich rasch an, warf Slips, Socken, Hemden und Jeans in einen Beutel und zog eine Grimasse, als sie feststellte, wie wenige saubere Sachen ihre Garderobe enthielt. Alles andere befand sich bereits im Auto oder in Deborahs Bus. Als sie mit dem Packen fertig war und sich zum Gehen wandte, stolperte sie fast über Cordelia, die im Türrahmen lehnte.
    »Kommst du zurück?«
    Lindsay ließ die Tasche auf den Boden fallen und umschlang Cordelia. »Natürlich komme ich zurück.«

NEUNZEHN
    Lindsay verließ das Haus durch die Eingangstür und dachte an den vor ihr liegenden Tag. Sie fühlte sich total erschlagen. Beim Offnen der Wagentür stellte sie fest, wie schlecht sie vor nur sieben Stunden geparkt hatte. Bevor sie die Erinnerung an das

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