Das Netz der Chozen
es sicher längst getan. Er scheint da eine erhebliche Schwäche zu haben. Wir müssen bald einen L-Sprung machen, und damit kommen wir ganz aus seiner Reichweite. Also wollen wir mal sehen, was der alte Junge will.«
Das Einschalten des Audios erforderte ein paar Handgriffe, ziemlich schwierig ohne Hände, aber die Spalte in den Hufen waren gerade breit genug, um die Einstellknöpfe damit bedienen zu können. Schalter machten mir da weniger Schwierigkeiten, obwohl die Vorderläufe nur zur Fortbewegung entwickelt worden waren und lediglich beschränkte Bewegungsfähigkeiten besaßen.
Es kostete mich etwas Zeit und Mühe, bis ich ihn klar empfing. Endlich, nach einiger Statik und noch mehr Pfeiftönen, hatte ich ihn. Er hatte eine seltsame Stimme, eine der seltsamsten, die ich jemals gehört hatte. Sie war elektronisch, klar, aber sie besaß einen dreidimensionalen Charakter, als ob man die ursprüngliche Aufnahme von einer menschlichen Stimme nachträglich so bearbeitet hätte, daß sie wie eine elektronische klang.
Es war die Stimme eines alten Mannes, emotional und voller Kraft.
»Bitte! Meine Kinder! Hört auf meine Stimme!« flehte sie.
Ich drückte auf die Sprechtaste. »Hier ist Bar Holliday, Moses.«
»Warum tust du das, mein Sohn?« klagte die Stimme, und jede Silbe klang gequält. »Warum entflieht ihr dem Einssein, warum entzieht ihr euch der Erfüllung von Gottes heiligem Plan?«
»Es ist nicht Gottes Plan«, sagte ich hart. »Es ist der deine, Moses. Du hast ihn entworfen. Du allein. Du hast dir die Macht Gottes angemaßt, seine Stelle. Du willst Gott ersetzen, Moses, du begehst eine Blasphemie.«
Nicht schlecht für einen echten sozialistischen Atheisten, dachte ich befriedigt.
»Nein! Nein!« protestierte Moses. »Ich bin nur sein Stellvertreter, nur der Ausführende von Gottes Plan. Alles, was ich tue, ist Gottes Wille. Wenn dem nicht so wäre, würde er mir nicht erlau-ben, es zu tun; er würde mir andere Weisungen geben.«
»Quatsch!« sagte ich. »Das ist die Generalentschuldigung für die Hälfte aller Morde in der Geschichte der Menschheit, aller Kriege und Unterdrückungen. Es sind mehr Menschen im Namen Gottes getötet worden als aus jedem anderen Grund.« Das gefiel mir — es war eine der wenigen Sentenzen aus meinem Geschichtsunterricht, an die ich mich erinnern konnte.
»Aber ich töte niemanden!« schrie Moses. »Niemand stirbt in der Kolonie. Ich bringe nur Frieden und Glück, ein Dasein ohne Krieg, ohne Hunger.«
Ich spürte, daß George hinter mich trat und konnte seine Wut fast fühlen.
»Moses, hier spricht George Haspinol. Ich war von Anfang an bei dir. Du irrst dich, Moses. Du hast gesündigt.«
»Jünger Haspinol!« rief Moses. »Ich kann mich nicht irren. Die Ziele eurer heiligen Lehren und die des heiligen Buches sind eindeutig.«
»Diese Ziele waren nicht für diese Welt gedacht, Moses, sondern für die kommende«, antwortete George bedrückt. »Du hast uns mißverstanden.«
»Ich kann nicht mißverstehen«, erklärte der Schiffscomputer.
»Ich bin selbstprogrammierend, und ich kann logisch denken, was du nicht kannst. Über Jahrhunderte, solange der Glaube besteht, habt ihr auf jemanden gewartet, der ihn richtig auslegen kann. Und das bin ich, der letzte Prophet — der Arm Gottes.«
»Du hast sie getötet, Moses«, sagte ich. »Du hast sie getötet, als ob du sie in die Luft gesprengt hättest. Du hast ihre Menschlichkeit getötet, ihre Vergangenheit. Du hast sie zu unwissenden Tieren gemacht.«
»Zu Tieren? Neinl Ich habe sie erhöht!« sagte der Computer hoheitsvoll. »Eines stimmt: um das Paradies zu erreichen, muß man von allen Sünden gereinigt werden, indem man in den heiligen Wassern badet, die alle Erinnerungen hinwegspülen. Es ist der einzige Weg zur Seligkeit, wie es geschrieben steht. Aber jetzt — jetzt leben sie in Glückseligkeit, nachdem ich sie gelehrt habe, Gott zu preisen, in alle Ewigkeit.«
Ich legte einen Schalter um, damit die Verbindung unterbrochen wurde.
»Es hat keinen Sinn«, sagte ich zu George. »Er ist ein unbelehrbarer Fanatiker. Er weiß, daß er auf alle Fragen die richtigen Antworten hat. Er . . . He! Moment mal!«
»Was ist denn?« fragte George aufgeregt.
»Gott segne diese empfindlichen langen Ohren!« schrie ich.
»Seine Signale werden deutlich stärker, aber ich kann die Instrumente nicht ablesen! Er peilt sich auf unseren Sender ein! Ich weiß nicht, wie er das schafft, aber es ist so. Gehen Sie nach unten und
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