Das Netz der Chozen
vorsichtig. Ich hatte noch immer zu große Schmerzen, um mich auf meine eigenen Empfindungen verlassen zu können.
»Ich habe Hunger«, sagte er. »Und ich fühle mich jetzt verdammt viel wohler als vorher, das ist alles.«
Ich grinste. George hatte schon ein paar von meinen schlechten Gewohnheiten angenommen. Der Prediger gestattete sich jetzt ein paar unchristliche Flüche.
»Ich werde auch die Luftfeuchtigkeit etwas steigern«, sagte ich. »Die Temperatur dürfte jetzt auf Patmosnorm sein, so weit ich das feststellen kann.«
Ich brachte die Luftfeuchtigkeit auf ein Niveau, das für Menschen erstickend war, uns jedoch völlig normal erschien.
»Die Blutung kommt zum Stillstand«, sagte George.
Ich fühlte es — fühlte, wie der Schmerz abklang, spürte ein warmes Pulsieren an Stellen, wo eben noch reißende Schmerzen gewesen waren.
»Ich fühle mich etwas müde«, sagte ich. »Die Reparaturko-lonne ist wieder da.«
»Schlafen Sie«, sagte George. »Ich übernehme die Wache.«
Als ich erwachte, wußte ich nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber der Schlaf mußte sehr tief gewesen sein. Ich fühlte mich ausgezeichnet, erholt und munter. Der Schmerz war völlig verschwunden, und ich fühlte getrocknetes Blut in der Behaarung meines rechten Hinterlaufs.
Ich sah mich um. George war ebenfalls von Müdigkeit überwältigt worden. Er lag auf dem Boden und schnarchte leise. Ich ließ ihn schlafen.
Ich fühlte keine Veränderung. Ich fühlte mich nur wieder gesund, völlig in Ordnung. Und ich war hungrig.
Oder war doch etwas anders geworden?
Diese Frage beunruhigte mich nicht so sehr, wie es ihr zukam, glaube ich. Aber ich war ja schon früher — in der Nacht? — mit ihr konfrontiert worden.
Der Körper fühlte sich wieder gut, normal. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie es war, als ich eine menschliche Gestalt hatte, aber obwohl die Erinnerung da war, schien sie sich nicht auf mich zu beziehen, nicht wirklich. Es war wie die Erinnerung an einen anderen, an eine fremde Kreatur, die ich einmal gekannt und gern gehabt hatte.
Ich blickte George an, der friedlich schlief, und beobachtete ihn prüfend.
Er erschien mir normal.
Ein Effekt des Virus? fragte ich mich. Nein, wahrscheinlich nicht. Ich erinnerte mich an Menschen, die auf einem Rattenloch von Planeten lebten, der nur teilweise terrageformt war. Der Geruch der Atmosphäre, die zwar nicht giftig war, ließ einem übel werden. Ich mußte eine Filtermaske tragen. Aber die Menschen, die dort geboren waren und den Gestank von Anfang an gewöhnt waren, bemerkten ihn nicht einmal. Und selbst die Oldtimer, die aus anderen Welten gekommen waren, hatten sich längst daran gewöhnt.
Ich war auf eisigen Planeten gewesen, wo Temperaturen, die ich kaum ertragen konnte, als normal empfunden wurden, wo Menschen lebten, liebten und arbeiteten, ohne ihre Umwelt als abnormal zu empfinden. Der Mensch hatte Hunderte solcher Planeten kolonisiert, und die meisten unterschieden sich ganz erheblich von dem, auf dem er geboren war. Selbst die Erde — ich kannte sie nicht aus eigener Erfahrung — soll nach den Berichten, die ich gehört hatte, extreme Temperaturunterschiede aufweisen. Menschen lebten in der Nähe der Polareiskappen. Menschen lebten in Höhenlagen, in denen andere nicht mehr normal atmen konnten.
Wir können uns anpassen. Nur deshalb hat der Mensch überlebt, sich vermehrt und ausgebreitet.
Selbst an eine andere Körperform können wir uns anpassen, sagte ich mir. Und wir leben damit, als ob sie uns angeboren wäre.
Und wenn ich das so empfand, wie war es mit George? Wie lange hatte er bereits als Nichtmensch gelebt? Zwanzig Jahre. Seit zwanzig Jahren war er von der Menschheit getrennt. Eine Ewigkeit verglichen mit meiner Erfahrung. Wie lange? Drei Monate, vielleicht vier.
Ich sah die fremdartig und grotesk geformte Kreatur an, die dort schlafend auf dem Boden lag, und wußte, daß auch ich so ein Fremder war.
Das Virus war ein Analogon zu einem Computer. Es war programmiert worden und würde sein Programm abspulen. Selbst hier, wo es dem unmittelbaren Einfluß von Moses entzogen war, erfüllte es die Aufgaben, die ihm eingeprägt worden waren. Und mit dieser Erkenntnis kam auch die Einsicht, daß die Zerstörung Moses', die unvermeidlich war, mich dazu verurteilen würde, den Rest meines Lebens als die Kreatur zu verbringen, die ich jetzt war.
Oder nicht? Konnten wir überhaupt überleben?
Was sollten wir essen? Die vorhandenen Vorräte
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