Das Netz im Dunkel
Schaukelstuhl. »Du kannst einem Idioten nichts beibringen. Sie wiederholt bloß, was sie dich sagen hört, wie ein Papagei. Geh und hilf Billie in der Küche. Ich habe es so verdammt satt, ewig diese Mahlzeiten zuzubereiten und das Haus zu putzen. Mein Gott, es scheint fast so, als würde niemand hier in diesem Haus was anderes tun als essen, schlafen und arbeiten. Wann habt ihr eigentlich Spaß?«
»Wenn wir mit der Arbeit fertig sind, Vera«, antwortete ich wütend. Ich nahm Sylvias Hand und ging zur Tür. »Schaukle du nur in dem Stuhl, Vera. Ich bin sicher, nichts, was ich dort gesehen habe, würde dich ängstigen. Denn du hast das alles mitgemacht.«
Schreiend wie ein Dämon aus der Hölle stürzte sich meine kleine Schwester auf Vera. Sie kratzte, trat und schlug nach ihr, und als Vera versuchte, sie abzuwehren, verbiß sich Sylvia in ihrem Arm.
Heftig schleuderte Vera Sylvia zu Boden. »Du blöder Idiot! Raus hier! Ich habe ein ebensolches Recht, in diesem Zimmer zu sein wie du!«
Ich lief zu den beiden, um Sylvia vor mehr Übel zu schützen, als Vera ihren Fuß hob, um nach ihr zu treten. Sie zielte auf Sylvias hübsches Gesicht. Aber ehe ich noch beiihnenwar,rolltesichSylviabereitsausdemGefahrenbereich. Dabei zog sie Vera ein Bein weg. Vera verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden wie ein gefällter Baum. Dann kamen die Schmerzensschreie.
Noch bevor ich neben ihr kniete, um nachzusehen, wußte ich, sah ich anhand der grotesken Haltung, daß Veras linkes Bein wieder einmal gebrochen war. Verdammt! Das letzte, was wir brauchten, war ein Kranker, der gepflegt werden mußte.
Wütend ging ich im neurömischen Salon auf und ab, als Arden und Papa Vera heimbrachten. Sie hatte wieder ein Bein in Gips. Ihre schwarzen Augen sahen mich höhnisch an, die Arme um Ardens Nacken geschlungen. Papa stützte sie von der anderen Seite.
»Audrina«, sagte Arden, »hol schnell Kissen, die wir Vera ins Kreuz legen können. Sie braucht außerdem noch welche, damit das Bein hochgelegt werden kann. Sie muß den Gips über acht Wochen tragen.«
Langsam suchte ich verschiedene Kissen von den anderen Sofas zusammen und stopfte sie hinter Veras Rücken. Liebevoll und vorsichtig hob Arden ihr schweres Gipsbein und schob vier weitere Kissen darunter. Ihre roten Zehennägel wackelten wie kleine, rote Fähnchen, als er sich um sie kümmerte.
»Wie ist Vera überhaupt gestürzt?« fragte Billie an jenem Abend, als ich ihr half, das Abendessen vorzubereiten.
»Ein Unfall. Ich habe gehört, wie Vera dir erzählt hat, daß Sylvia ihr absichtlich ein Bein gestellt hätte. Aber ich war dabei. Es war wirklich ein Unfall.«
»War es nicht!« schrie Vera aus dem Nebenzimmer. »Das Gör hat das absichtlich gemacht!«
»Audrina, ich hoffe, das ist nicht wahr!«
Billie warf Sylvia einen unguten Blick zu. Wieder einmal saß die Kleine auf Billies rotem Karren und raste den glatten, gewachsten Boden des hinteren Korridors entlang.
»Weißt du, Billie, ihr beide, du und Arden, könnt kaum glauben, was ich über Vera erzähle. Ich will nicht übermäßig kritisch sein, aber heute hatte Sylvia den ersten, wirklichen Durchbruch. Ich sah, wie ihre Augen aufleuchteten, als sie begriff…und dann tauchte Vera in der Tür auf.«
Ich hörte Sylvia singen, als sie auf dem roten Karren den Flur hinauf- und hinunterraste. »Bloß ein Spielzimmer…im sichern Zuhaus…bloß ein Spielzimmer…«
Fast hätte ich den Löffel fallen gelassen. Wer hatte Sylvia dieses Lied beigebracht?
»Alles in Ordnung mit dir, Liebes?« fragte Billie und zog sich zu mir heran.
»Ja, prima«, antwortete ich aus reiner Gewohnheit. »Aber ich kann mich nicht erinnern, Sylvia dieses Lied beigebracht zu haben. Hast du sie singen hören, Billie?«
»Nein, Liebes, hab’ich nicht. Ich dachte, das wäre Veras Stimme. Sie singt dieses Lied oft. Hört sich an wie ein Kinderlied–ziemlich jämmerlich, mitleiderregend. Es tut mir weh, wenn ich denke, daß Damián Vera gegenüber nicht freundlicher gewesen ist…Und sie bemüht sich so um seine Anerkennung.«
Schweigend goß ich die Soße in die Schüssel und trug sie ins Eßzimmer. Auf dem Rückweg zog ich Sylvia von dem Karren und schimpfte tüchtig mit ihr. »Wie oft muß ich dir eigentlich noch sagen, daß du den Karren in Ruhe lassen sollst? Er gehört dir nicht. Geh und fahr mit dem Dreirad, das Papa dir geschenkt hat. Es ist rot und hübsch.«
Sylvia schob die Unterlippe vor und wich vor mir zurück. Mit dem Fuß
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