Das Netz im Dunkel
Talent als reden, reden, den lieben, langen Tag, hörte ich meine Mutter flüstern. Er war meistens gut gelaunt, ließ sich von keiner Tragödie unterkriegen, war immer obenauf, aber mir war es gelungen, ihn traurig zu machen.
Endlich, als Sylvia Essen in ihren Mund schaufelte und Arden ohne Appetit aß, sprach er. »Vera muß in jener Nacht, als Ellie und ich unseren letzten Streit hatten, hiergewesen sein. Vera war es, die ihr das Reisekostüm angezogen hat und die Kleider in den Koffer geworfen, damit wir denken sollten, Ellie hätte die Absicht gehabt, mich zu verlassen.«
Er beugte den Kopf über die Hände; einen Augenblick lang fielen seine breiten Schultern nach vorn, als würde ihn die Tragik doch noch berühren.
»Ich wußte, daß Ellie mich niemals verlassen würde. Ich hätte ihr eine Million Dollar geben können, und sie wäre doch immer noch geblieben. Wenn man jahrelang an einem bestimmten Ort lebt, dann schlägt man dort Wurzeln, selbst wenn man es nicht will. Immer wieder erzählte Ellie mir, daß sie woanders glücklicher sein würde, aber wann immer sie versuchte, mich zu verlassen, mußte sie feststellen, daß sie das nicht konnte. Sie hat immer gesagt, sie hätte den größten Fehler ihres Lebens gemacht, als sie hierher zurückkehrte.«
Er sah nicht noch einmal zu mir herüber, aber ich wußte, was er zu tun versuchte–er wollte mir einreden, ich könnte außerhalb dieses Hauses nicht leben, fern von seiner zärtlichen Fürsorge. Er erzählte mir, wie sehr er sich wünschte, daß ich hierblieb, wie sehr er mich brauchte, ohne es direkt zu sagen.
Die vielen Uhren im Haus tickten, die Zeit verrann.
Der Wasserhahn in der Küche tropfte, tropfte…
Sylvia hörte auf zu essen, nahm ihre Kristalle, und die Farben blitzten, und die Mobiles in der Kuppel fingen an zu klingeln, klimpern.
Ich schüttelte den Kopf, um mich von diesem Bann zu befreien, den nicht nur die Farben, sondern auch die vertrauten Geräusche über mich legten. Papa hatte mein Leben ruiniert, weil er mich für einen Schwächling hielt, der unfähig war, mit der Wahrheit fertig zu werden. Dabei war er es, der sich ihr nicht stellen wollte. Er hatte gelogen, um selbst vergessen zu können, nicht nur um mich vergessen zu machen.
Und er hatte auch Veras Leben ruiniert, weil er sie von Anfang an nicht gemocht hatte. Denn sie rief das schlechte Gewissen in ihm wach, wann immer er in ihre schwarzen Augen sah, die den seinen so ähnlich waren. Aber ichwürdeihmschonbeweisen,auswelchemStoffich gemacht war.
In diesem Haus hielt ich mich noch immer im Schatten der Wände, und noch immer wich ich den bunten Mustern am Boden aus. Hier war ich ein Kind, stehengeblieben im Alter von neun Jahren. Ich mußte Papa und Arden beweisen, daß ich meine Wurzeln ausreißen konnte, wie sehr das auch schmerzte, und ich würde aus diesem Haus fliehen. Ich zwang mich, die Koffer aus dem Schrank zu nehmen; von wilder Entschlossenheit getrieben, rannte ich hierhin und dorthin, warf Kleider in die Taschen, die offen auf meinem Bett lagen. Ich faltete nichts säuberlich zusammen, schleuderte bloß Pullis, Röcke, Blusen hinein, auch für Sylvia.
Dann warf ich meine Unterwäsche hinterher, stopfte Strümpfe, Schuhe, Handtaschen, Kosmetika hinein…genau wie Tante Elsbeth es getan hatte. Die Uhr auf meinem Nachttisch zeigte zehn nach zehn, und danach stellte ich meine Armbanduhr. Um zwölf Uhr würde ich mit Sylvia unterwegs sein.
»Audrina«, sagte Arden, der in mein Zimmer gekommen war. Seine Arme versuchten, mich zu umschlingen, »wende dich nicht von mir ab.«
Er zog mich an seine Brust und versuchte, seine Lippen auf meinen Mund zu drücken. Ich drehte den Kopf, um seinem Kuß zu entgehen. »Ich liebe dich«, erklärte er hitzig, »ich habe dich immer geliebt. Schreckliche Dinge, viel schlimmere Dinge stoßen anderen Menschen zu, und doch bleiben sie zusammen. Sie finden ein neues Glück. Audrina, sei tapfer. Hilf dir selbst. Hilf mir. Hilf auch Sylvia.«
Aber ich wollte niemandem helfen, wenn das bedeutete, daß ich hierbleiben mußte.
Ich brauchte Arden jetzt nicht. Er hatte mich zweimal im Stich gelassen, und es war zu vermuten, daß er mich auch ein drittes Mal im Stich lassen würde, mich vielleicht immer im Stich lassen würde, wenn ich ihn am meisten brauchte.
Schluchzend riß ich mich aus seinen Armen und stieß ihn zurück. »Ich verlasse dich, Arden. Ich glaube, du bist auch nicht besser als Papa. Ihr hättet es beide besser wissen
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