Das Netz im Dunkel
sollen, hättet mein Leben nicht auf Lügen aufbauen sollen.«
Diesmal sagte er nichts. Es gab auch nichts zu sagen. Er sah mir zu, wie ich fertigpackte. Als ein Koffer voll war, mühte ich mich ab, ihn zu schließen und zu versperren. Ein Blusenärmel blitzte heraus, aber das war mir gleich. Arden rührte keinen Finger, um mir zu helfen, als ich mit aller Kraft drückte, um den Koffer schließen zu können. Endlich gelang es mir. Ich schloß alle Taschen und Koffer ab, fünf an der Zahl. Arden seufzte.
»Also hast du jetzt vor, davonzulaufen. Gott weiß wohin. Du fragst mich nicht, was ich möchte. Dir ist es egal, was ich möchte. Du hörst weder auf die Vernunft noch auf Erklärungen. Nennst du das etwa gerecht? Oder ist es Trotz? Rache? Deine Liebe ist ein kapriziöses Etwas, Audrina. Bist du es mir nicht schuldig, zu bleiben und zu sehen, ob unsere Ehe nicht doch noch zu retten ist?«
Ich sah ihn nicht an. »Ich kann Sylvia nicht hierlassen. Etwas Seltsames ist an diesem Haus. Es hält alle Erinnerungen fest und macht sie zu einem Teil der Zukunft. Dieses Haus hat zu viel Kummer gesehen, als daß einer von uns jemals hier glücklich und froh sein könnte. Freu dich, daß ich dich verlasse. Sag dir an jedem Tag deines Lebens aufs neue, daß du dem Schicksal um Haaresbreite entgangen bist, so zu werden wie mein Vater: ein Schwindler, ein Betrüger, der nicht einmal davorzurückschreckt, seine eigenen Töchter zu berauben.«
Er warf mir einen langen, harten Blick zu, wandte sich dann ab und stapfte zur Tür. Von dort aus sagte er noch einen letzten, schmerzlichen Satz. »Ich könnte dir jetzt sagen, daß Damián wirklich versucht hat, dir zu helfen, aber ich glaube, dafür ist es zu spät.«
Ich nahm einen teuren Briefbeschwerer und schleuderte ihn nach seinem Kopf. Er verfehlte ihn und fiel zu Boden. Er warf die Tür hinter sich zu.
Minuten später ging die Tür langsam wieder auf. Leise, auf Samtpfötchen wie eine Katze, stahl sich Sylvia ins Zimmer und beobachtete mich schweigend.
»Ja, Sylvia, ich reise ab und nehme dich mit. Ich habe deine Kleider gepackt, und ich werde dir neue, hübsche Kleider kaufen, wenn wir dort ankommen, wo ich hinwill. Das hier ist kein gesundes Haus für dich. Ich möchte, daß du zur Schule gehst, im Park spielst, Freunde in deinem Alter findest. Mammi hat uns beiden einen Anteil an diesem Haus hinterlassen, den wir jederzeit, wenn wir von hier fortwollen, von Papa ausbezahlt bekommen. Notfalls müßte er sogar das Haus verkaufen. Also nehmen wir froh von Whitefern Abschied und sehen unserem besseren Leben anderswo freudig entgegen.«
Ihre blauen Augen weiteten sich, als sie vor mir zurückwich. Sie schüttelte heftig den Kopf. »Neeiiin«, hauchte sie und riß die Hände hoch, als müßte sie einen Feind abwehren. »Hier…bleiben. Heim.«
Wieder erzählte ich ihr, daß sie mit mir verreisen sollte, aber genauso heftig wie zuvor erklärte sie mir auf alle mögliche Arten, ohne zu sprechen, daß sie Papa oder Whitefern nie, niemals verlassen würde.
Diesmal war ich es, die zurückwich. Ich würde nicht zulassen, daß ihre Ergebenheit Papa gegenüber meinenEntschluß ins Wanken brachte, zum erstenmal in meinem Leben meinen eigenen Weg zu gehen.
Sollte sie doch bei Papa in Whitefern bleiben…vielleicht verdienten sie einander.
»Auf Wiedersehen, Papa«, sagte ich eine Stunde später. »Paß gut auf dich auf. Sylvia wird dich noch mehr brauchen, wenn ich erst fort bin.«
Tränen rollten über seine vollen Wangen und fielen auf sein sauberes Hemd.
Papas Stimme folgte mir, als ich zur Tür ging. Ich trug nur eine kleine Tasche. Die anderen würde ich später holen. »Alles, was ich jemals vom Leben erwünscht habe, war eine Frau, die mich für fein und edel hält. Ich dachte, du würdest es sein. Audrina, geh nicht. Ich gebe dir alles, was ich besitze, alles…«
»Du hast Sylvia, Papa«, antwortete ich mit hartem Lächeln. »Vergiß das nicht, wenn ich das Haus hier verlassen habe. Du hast Vera zu dem gemacht, was sie war, hast aus mir gemacht, was ich bin, und genauso wirst du auch Sylvias Schicksal bestimmen. Sei lieb zu ihr, Papa. Sieh dich vor, auf welchen Pfad du sie bringst, wenn du anfängst, ihr Geschichten zu erzählen. Ich bin nicht ganz überzeugt–«
Ich biß mir auf die Zunge, zögerte, als ich sah, daß Sylvia in der Halle stehengeblieben war, direkt vor der Tür zum neurömischen Salon.
Entsetzen flackerte in Papas dunklen Augen auf, als wüßte er, daß
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