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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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gewissermaßen auf der Schwelle stand, an der Passkontrolle des Scheremetjewo-Flughafens. Jetzt kam der junge blauäugige Beamte in Begleitung eines älteren Mannes zurück. Er sah sich Annas Visum und ihren Pass an, musterte dann Anna selbst und flüsterte seinem Kollegen etwas zu. Lass es schnell gehen, betete Anna stumm. Lass den Älteren jetzt in seinem Russen-Englisch sagen: Wenn Sie mir bitte folgen würden, Miss Barnes? Dann ist es wenigstens vorbei.
    Aber es war nicht vorbei – es fing gerade erst an. Der junge Beamte richtete ein letztes Mal den Blick auf Anna, dann senkte er die Lider, als klappte er einen Fensterladen zu, drückte seinen Stempel auf das Visum und gab es ihr zurück. Seine Miene ließ keine Regung erkennen. Auf dem Weg zur Gepäckausgabe fühlte Anna sich ganz schwach vor Erleichterung. Erst als sie ihren Koffer gefunden hatte und sich dem Zoll näherte, wurde ihr klar, dass die Erleichterung verfrüht war. Natürlich ließen sie sie durch die Passkontrolle, selbst wenn sie wussten, wer sie war. Auf diese Weise kam sie ja ins Land. Und gehörte ihnen.
    Die ersten echten Vorboten der Katastrophe erwarteten Anna am Flughafenschalter von Intourist. Sie sollte sich dort gleich nach der Ankunft melden, um den Transport zum Wnukowo-Flughafen zu organisieren, von wo aus sie am Abend mit der Aeroflot nach Eriwan weiterfliegen sollte. Als sie der Dame hinter dem Schalter ihr Gutscheinheft reichte, studierte diese es ausführlich, konsultierte eine Liste und sah dann wieder zu Anna auf. Warum stehe ich eigentlich auf lauter Listen?, fragte sich Anna und spürte die Beklommenheit wieder in sich aufsteigen.
    «Tja, wie’s aussieht, hab ich gute Nachrichten für Sie», sagte die Intourist-Dame in dem eigenartigen, viel zu umgangssprachlichen Englisch, das an sowjetischen Sprachschulen gelehrt wird.
    «Inwiefern?», fragte Anna.
    «Sie dürfen eine Gratis-Nacht in Moskau verbringen, im Intourist-Hotel am Roten Platz, ganz ohne Aufpreis.»
    «Wie meinen Sie das denn?» Obwohl sie vor Müdigkeit und Aufregung ganz benommen war, spürte Anna doch, dass hier etwas ganz gewaltig falsch lief.
    «War nur ein Witz. Es gibt Probleme mit Ihrem Flug von Wnukowo nach Eriwan. Der Flug 837 hat leider Verspätung.»
    «Wann geht er denn dann?»
    «Morgen.»
    Ganz ruhig bleiben, dachte Anna. Nicht aufregen. «Und wann morgen?»
    «Wahrscheinlich vormittags.»
    «Um wie viel Uhr?»
    «Neun, zehn, elf, keine Ahnung. Vielleicht auch erst am Nachmittag.»
    «Aber was ist denn passiert? Gibt es keinen anderen Flug? Ich möchte doch nach Eriwan. Ich habe mich so auf Eriwan gefreut.»
    «Tut mir leid, aber das passt leider nicht.»
    «Was soll das heißen, es passt nicht? Ich habe eine Reservierung für den Flug heute Abend.»
    «Der Flug hat Verspätung», wiederholte die Frau ungerührt.
    «Kann ich bitte mit Ihrem Chef reden?»
    Sie hatte es kaum ausgesprochen, da wusste sie schon, dass es ein Fehler gewesen war. Russen steckten im Umgang mit Amerikanern voller Vorurteile und warteten nur darauf, dass sich jemand aufspielte, eine Sonderbehandlung verlangte oder sonst irgendwie dem Bild des aufgeblasenen, habgierigen Amis aus der sowjetischen Propaganda entsprach. Dagegen kam man einfach nicht an. In der Sowjetunion verdiente man nur dann eine Sonderbehandlung, wenn man unter dem besonderen Schutz der sowjetischen Regierung stand, und davon war Anna meilenweit entfernt.
    «Tja», sagte die Intourist-Frau gekränkt. «Wie’s scheint, können Sie dann auch weiter mit mir reden, ich bin nämlich die Chefin hier. Und ich sage Ihnen jetzt, wie Ihr Programm aussieht. Sie verbringen die Nacht heute im Intourist-Hotel, und morgen früh bringt Sie ein Wagen der Intourist nach Wnukowozu dem verspäteten Flug nach Eriwan. Und jetzt wird Sie ein Wagen der Intourist zum Hotel fahren.» Sie deutete mit dem Kopf auf einen bulligen Chauffeur, der Anna nicht einmal den Koffer abnahm. Anna war klar, dass weitere Diskussionen sinnlos waren. Sie würde erst am nächsten Tag, dem 9.   November, nach Eriwan fliegen.
     
    Und so bezog sie ihr Zimmer im siebzehnten Stock des Intourist-Hotels, mit Blick auf die Gorky-Straße. Die Nachttischlampe funktionierte nicht, das Fenster ließ sich nicht öffnen, und der Fernseher war kaputt. Anna packte ihren Koffer aus, duschte ausgiebig und setzte dabei das ganze Bad unter Wasser, weil es keinen Duschvorhang gab. Pflichtschuldigst wischte sie alles wieder auf. So war diese Stadt: Sie machte Menschen

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