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Das neue Buch Genesis

Das neue Buch Genesis

Titel: Das neue Buch Genesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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einen Lieblingsplatz auf einem der Hügel vor der Stadt. Nach der Schule ging sie oft dorthin. Normalerweise tat sie das allein. Sie war keine Einzelgängerin, aber ihre Freunde gingen nicht gern spazieren. »Ihr verpasst einen grandiosen Sonnenuntergang«, textete sie ihnen, doch die Antwort war immer die gleiche: »Dann lad ihn doch runter.« Die Standardbeleidigung dieser Jahre.
    Gegen Ende ihrer Schulzeit wurde Anax allmählich klar, dass sie anders als die anderen war. Sie verstand die unterschwellige Gleichgültigkeit nicht, die eines Tages urplötzlich auftauchte und sich wie die Seuche unter ihren Klassenkameraden ausbreitete. Es war, als hätte sie ein Entwicklungsstadium komplett verpasst.
    Sie versuchte, es ihrem besten Freund Thales zu erklären. »Ich glaube, mit mir stimmt etwas nicht.« »Wie meinst du das?«
    »N a ja, ich glaube, ich bin nicht wie ihr. Mir gefällt immer noch, was ich lerne. Ich verstehe nicht, worüber ihr redet. Euer Getratsche. Ich vermisse die alten Zeilen. Mir fehlen die Spiele.«
    »Du brauchst nur ein bisschen länger, um erwachsen zu werden«, antwortete Thales voller Gewissheit, dass dies bald geschehen würde. Doch Anax war sich d a nicht so sicher.
    So kehrte sie in jenem Sommer abends nach der Schule nicht wie alle anderen in ihr Apartment zurück, um sich den oberflächlichen Freizeitveranstaltungen anzuschließen, sondern wanderte zu den Hügeln hinauf. Sie tat es nicht nur wegen der Sonnenuntergänge, obwohl diese in den länger werdenden Tagen, wenn sich der Dunst im Norden ausbreitete, immer spektakulärer wurden. Es war die Brise, die vom Meer herüber wehte , die sie hierher lockte. Das Gefühl, am Ende der Welt zu stehen. Der Blick. Vom Hügelkamm konnte man das Wasser sehen, silbern glitzernd in der Sonne, aber dunkel vor den riesigen Umrissen der rostigen Pfeiler, die einst den Großen Meereszaun gestützt hatten. Im Westen ruhten die überwucherten Ruinen der Altstadt, die allmählich wieder zu Erde wurden. Auch das war ein schöner Anblick, dachte Anax, obwohl sie noch nie gehört hatte, wie es jemand auf diese Weise beschrieb.
    Während des letzten Schuljahres ermunterte man die besseren Schüler dazu, sich in einem Fachgebiet zu spezialisieren. Anax war eine gute Schülerin, auch wenn sie nicht zu den besten gehörte. Ihre Entscheidung, sich auf Adams Geschichte zu konzentrieren, war alles andere als originell. Jeder Grundschüler kannte die Geschichte in- und auswendig. Aber die anderen waren nicht so von der Geschichte fasziniert wie Anax.
    Das war der wahre Grund, warum sie immer wieder zu ihrem Hügel zurückkehrte. Der Blick über das Meer -sein Blick, den er vom Wachturm aus gehabt hatte. Die tote Stadt - jener Ort, an den er jeden Abend zurückgekehrt war, um dort zu essen, zu diskutieren und zu verführen. Die Überreste des Großen Meereszauns - Adams Zaun. Jeden Tag dachte sie in der Schule über sein Leben nach und dann wanderte sie auf den Hügel hinauf und grübelte weiter.
    Anax war dort oben noch nie jemandem begegnet. Der Pfad war schmal und schlecht ausgeschildert. Nervös scannte sie den Fremden aus der Entfernung. Natürlich konnte sie die anderen im Notfall antexten und sie um Hilfe bitten, doch es würde sowieso viel zu lange dauern, bis sie bei ihr wären. Es waren friedliche Zeiten, dennoch kamen einem immer wieder Geschichten zu Ohren und es konnte nicht schaden, vorsichtig zu sein.
    Er scannte zurück, dann wandte er sich offensichtlich zufrieden wieder um und betrachtete den Sonnenuntergang. So sah sie Perikles zum ersten Mal: das Gesicht dem Meer zugewandt, im seltsam grünen Schein eines sterbenden Himmels, sein langes Haar vom Wind zerzaust.
    Sie sprach zuerst. »Ich heiße Anax.«
    »Das hat mein Scanner auch gesagt.«
    »Ich wollte nur höflich sein. Und du bist Perikles?«
    »So ist es.«
    »Und was machst du hier oben?« »Ich sehe mir den Sonnenuntergang an.« »Ich habe dich hier noch nie gesehen.« »Ich dich auch nicht.«
    »Ich komme jeden Tag hierher.«
    »Ich nicht. Das wird wohl der Grund sein, warum wir uns noch nicht begegnet sind.«
    Das war ein typisches Gespräch zwischen ihnen. Reden war für Perikles wie ein Spiel, und wenn man einmal mitgespielt hatte, war man süchtig danach. Perikles sprach nicht über die albernen Dinge, über die ihre Freunde sprachen. Er wählte seine Worte sorgfältig, achtete auf ihren Klang und die Gestalt der Ideen, zu denen sie sich formten. Zumindest beschrieb er es so.
    Er war

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