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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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Wolken, die vom Meer heranzogen.
    »Wir sollten nicht weit gehen«, meinte Sean. »Sonst werden wir nass. In diesen Breiten kann es sintflutartige Regengüsse geben, ich habe das auf dem gleichen Breitengrad in Byblos erlebt.«
    »Was soll ich tun, Sean?«, fragte Madeleine verzweifelt. »Ich spüre, dass Uthman sich mir entzieht. Und ich habe keine Kraft mehr, ihm entgegenzugehen. Ich befürchte, unsere Beziehung wird hier enden. Denn ich kann nicht mit einem Mann zusammen sein, der mir keine Aufmerksamkeit schenkt. Ich möchte bewundert werden. Ich will jedenfalls keinem Mann hinterherlaufen müssen, keine Frau will das.«
    »Das verstehe ich schon«, sagte Sean. »Aber vielleicht solltest du einfach Geduld haben. Uthman ist in einer schwierigen Phase, er sucht nach seiner Bestimmung, da will er sich nicht binden.«
    »Ach, das höre ich schon lange!«, wehrte Madeleine ab. »Wir kennen uns ja nicht erst seit Tagen. Ich sehe einfach keine Fortschritte, wir treten auf der Stelle, weil es keine Lösung gibt.«
    »Es ist schwierig, und ich kenne mich in diesen Dingen auch nicht gut aus«, gestand Sean. »Du solltest mit Henri sprechen, er weiß zu allem einen guten Rat.«
    »Henri ist Uthmans bester Freund«, meinte Madeleine. »Er wird ihm mit seinem Rat nicht schaden wollen. Ich brauche aber einen Ratgeber, der auf meiner Seite ist.«
    »Ich bin auf deiner Seite, Madeleine. Aber ich verstehe auch Uthmans Probleme. Es ist eine wirklich verzwickte Situation.«
    »Du machst mir nicht gerade Mut!«
    »Ich will nur die Wahrheit sagen. Ich hasse es, mit wohl gewählten, schönen Worten über Tatsachen hinwegzutrösten. Das würde dir auch nichts nützen.«
    Wieder blickte Sean zum Himmel, die Wolken kamen näher, es wurde dunkler. Aber Madeleine wollte nicht zurückgehen. Sean spürte in der jungen Frau eine Energie, als wollte sie immer weiter und weiter. Nur fort aus der Sackgasse, in der sie sich zu befinden glaubte.
    »Weißt du«, sagte Madeleine und schaute plötzlich überrascht in Richtung Meer, als sähe sie dort etwas Besonderes, »ich mag klare Verhältnisse. Ich will nicht vertröstet werden. Und es muss eine Zukunft für mich geben. Ist es nicht wichtiger für einen Menschen, dass er mit seinen persönlichen Verhältnissen klarkommt, als dass er irgendwelchen Erkenntnissen nachjagt?«
    Sean zog die Stirn kraus. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    »Dieses neue Evangelium zum Beispiel. Was nützt es uns, ob es existiert oder nicht? Warum soll es wichtig sein, was drinsteht! Ändert das unser Leben? Was geht es uns an? Nichts, würde ich sagen. Aber dass hier gerade eine Liebe zerbricht, das geht uns sehr wohl an!«
    »Nun, überrede Uthman, mit dir zu gehen, irgendwohin! Wir haben ohnehin von ihm gehört, dass es ihn nach Syrien zurückzieht – nicht nur auf Besuch bei seiner Familie, sondern dauerhaft. Geh mit ihm, du legst auf deine eigene Familie doch keinen Wert.«
    »Und was soll ich dort tun? Soll ich die Mätresse im Harem eines großen Sarazenen werden?« Madeleines Stimme klang nun bitter.
    Sean wurde klar, dass jedes weitere Wort überflüssig war, denn Madeleine hatte die Trennung bereits vollzogen. Und vielleicht war das auch die richtige Entscheidung, wenn man die Gegensätze betrachtete, die Madeleine und Uthman trennten.
    Wieder blickte die junge Frau nach Osten, wo das Meer zu ahnen war.
    »Was ist? Siehst du etwas?«
    »Ich dachte nur – es schien mir…«
    »Was denn?«
    »Ach, wohl nichts.«
    »Doch, du hast Recht!«, rief Sean aus. »Dort nähert sich ein Reiter. Zum Teufel, er prescht nur so dahin und hält direkt auf uns zu. Was will er?«
    Sean hatte sich von Madeleines Arm gelöst. Er stand in gespannter Erwartung da. Gleichzeitig fing es an zu regnen, erst in einzelnen dicken Tropfen, dann heftiger. Der Wind peitschte den Regen schnell in heftigen Böen herüber.
    »Jetzt haben wir den Salat«, sagte Sean.
    »Gehen wir schnell zurück«, sagte Madeleine.
    »Der Reiter! Was will er von uns?«
    Der Fremde flog näher. Jetzt war er bei ihnen. Sean und Madeleine erkannten, dass es ein großer, gut aussehender Mann war mit stolzem Gesicht, vielleicht ein Edelmann, sein kurzes, schwarzes Haar und sein sorgfältig gestutzter Bart sprachen jedenfalls dafür, dass er aus dem Abendland kam.
    Der Fremde sprang vom Pferd und stürzte auf Madeleine los. Sean stellte sich dazwischen, aber der Mann schob ihn mit einer einzigen Armbewegung zur Seite. Sean stieß einen Zornesruf aus. Der Mann

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