Das neue Evangelium
Badezuber aus Zink heran. Er blickte Henri an und dann den Badenden. Henri hatte das unbestimmte Gefühl, die beiden spielten ein Spiel, das für ihn bestimmt war. Der blonde Mönch schwieg.
Die Mönche und ihr Abt verhielten sich kalt und undurchsichtig, so kam es Henri vor, aber Proskenion kochte, Dampf stieg auf. Es war, als verdampfe das heiße Wasser unter der Eiseskälte des anderen Mönchs.
»Hört mir zu, Fremder«, sagte der Blonde jetzt. »Ihr und Eure Leute verlasst morgen früh das Kloster. Wenn ich Euch am Abend noch hier antreffe, werfe ich Euch in den Kochtopf zu dem begnadeten Skribenten Proskenion!«
Henri glaubte, sich verhört zu haben. Der Mönch trat so nahe an ihn heran, dass er seinen Atem roch. Henri trat einen Schritt zur Seite. Der Mönch baute sich vor ihm auf.
Der Badende sagte: »Puh, Bruder Askenios!«
»Es wäre mir lieb, Ihr würdet mir vom Leib bleiben, Bruder Mönch!«, sagte Henri.
Der Ordensbruder mit dem Namen Askenios legte ihm zwei Finger auf die Brust. »Dies hier ist eine eigene Welt. Hier gelten nur unsere Gesetze. Das Leben da draußen zählt nicht. Die Nächte hier sind ebenso lang und einsam, wie die Gänge im Kloster dunkel und kalt sind. Es hört Euch niemand, wenn wir das nicht wollen. Deshalb untersteht Euch, solange Ihr hier seid, etwas anderes zu tun als das, was wir sagen.«
Henri spürte, wie sein Gesicht rot wurde. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben, aber es fiel ihm schwer.
»Ich hätte von einem Ordensmann keine so plumpen Drohungen erwartet. Was glaubt Ihr, damit zu erreichen? Ich habe keine Angst vor Euch.«
»Wir werden sehen. Ihr seid jetzt entlassen. Haltet Euch vom Skriptorium und der Bibliothek fern, ebenso von diesem Gebäude hier.«
Henri blickte dem Mönch in die Augen. Darin sah er keinen Schimmer, kein Zeichen von Leben, nur ein stumpfes, flaches Blau, als wären es die Augen eines Toten. Er spürte, welche Bedrohung von dieser Gestalt ausging.
Der Mönch Proskenion stemmte sich in diesem Moment an den Wannenrändern in die Höhe. Wasser lief in Rinnsalen, Tropfen und schließlich in Kaskaden von den fetten Wülsten und überhängenden Hautlappen an ihm hinab.
Henri schaute nicht mehr hin. Er hatte genug gesehen und genug gehört.
Der Ausritt war ohne Zudringlichkeiten vonstatten gegangen. Grimaud hatte sich gesittet verhalten. Er hatte Madeleine artig aufs Pferd geholfen und sie auch wieder heruntergehoben, und auf dem Karstboden hatte er ihr eine Decke ausgebreitet. Madeleine kam sich vor wie ein dummes Mädchen, das hinter jeder männlichen Geste etwas Obszönes witterte. Sie fragte sich, wer sie so erzogen hatte. Oder wurde sie nur mit jedem Tag ängstlicher?
Die Zurückhaltung des Mannes aus Paris hatte auf sie gewirkt. Etwas an Grimaud irritierte sie aber weiterhin. Er schien solch extremen Stimmungsschwankungen zu unterliegen, wie sie Madeleine noch bei keinem Menschen erlebt hatte. Und in sein Gesicht trat manchmal ein Zug, der ihr geradezu unheimlich erschien. Madeleine hatte sich schon ermahnt, ihn nicht mehr anzusehen, wenn er sich unbeobachtet glaubte, denn dann war es am schlimmsten.
Sie wusste nicht zu sagen, was es genau war. Vielleicht war er nur ein äußerst empfindsamer Mensch, dessen Gefühle sich sofort in seiner Miene spiegelten, und man musste vorsichtig mit ihm umgehen.
Aber seine Anziehungskraft zerstreute ihre Zweifel. Er war ein Mann, der wusste, was er wollte.
An diesem Morgen, als sie sah, wie Henri aus dem Prälaturgebäude kam und auf den Gästetrakt der Männer zusteuerte, war Madeleine nicht mehr zu halten. Sie verließ ihre Zelle, ging in den Stall hinunter und ließ ihr Pferd satteln.
Kurze Zeit später preschte sie jenseits der Klostermauern in Richtung Enkomi davon. Sie wusste, wo sie Herrn Grimaud antreffen würde.
Henri kam aus der Prälatur und erblickte Madeleine, die davonritt. Seltsam, dachte er, wohin reitet sie? Wen kennt sie da draußen? Uthman war es nicht, denn der war mit Henri in das Kloster gekommen.
Madeleine wirkte in letzter Zeit immer eigensinniger, so als stünde sie nicht mehr an der Seite der Gefährten. In der jungen Frau schien die Abneigung gegen ein Leben, wie ihre Begleiter es führten, immer stärker zu werden. Henri wusste aber nicht, was er dagegen tun konnte. Hätte er überhaupt ein Recht dazu gehabt?
Ludolf von Suchen und Jesus de Burgos waren von einem Ritt nach Famagusta zurückgekehrt. Jesus erklärte, der Besuch in der Kapelle des heiligen
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