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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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Georg sei enttäuschend gewesen. Von Reliquien des Märtyrers, der von Kaiser Diokletian mit dem Schwert hingerichtet worden war und der den Ostchristen als das menschliche Abbild des Erzengels Michael galt, keine Spur. Sie seien geraubt worden, hatte der Priester erklärt.
    Die beiden Pilger blinzelten sich auf eine Art zu, die Henri auf den Gedanken brachte, sie erzählten ihm eine erfundene Geschichte. Hatten sie irgendetwas verabredet? Waren sie vielleicht gar nicht in Famagusta gewesen?
    Ludolf erkundigte sich bei Henri nach dem neuen Evangelium. Henri erzählte ihm, was sich ereignet hatte. Er erwähnte auch die unverhohlene Drohung Askenios’ und die Worte Proskenions. Und er sagte Ludolf, dass er in der Nacht versuchen wolle, die Schrift zu sehen. Uthman würde ihm dabei helfen. Er wollte Ludolf aber nicht dabeihaben. Und auch nicht Jesus de Burgos.
    »Wie willst du das anstellen, Henri?«, fragte Ludolf.
    Henri zuckte die Schultern. »Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Aber ich werde einen Weg finden. Wir werden die Handschrift in Augenschein nehmen, koste es, was es wolle.«
    »Wenn es eine solche Handschrift überhaupt gibt!«, meinte Uthman.
    »Die Nacht wird es zeigen«, sagte Henri. »Es ist die letzte Gelegenheit. Denn morgen müssen wir das Kloster verlassen.«
    »Du meinst, sie würden ihre Drohung tatsächlich wahr machen?«, wollte Ludolf wissen. »Tust du ihnen nicht Unrecht mit einer solchen Vermutung? Es sind Christenmenschen!«
    »Ich habe gehört, was der Mönch Askenios zu mir sagte, und auch, was der Leiter des Skriptoriums sagte«, erwiderte Henri. »Und was die anderen nicht sagten, aber dachten, das habe ich auch begriffen. Es war deutlich.«
    »Dieser Sakristan«, meinte Jesus, »was ist mit ihm geschehen? Glaubst du, sie haben ihn ermordet?«
    »Ich halte es für möglich.«
    »Dann müssen wir etwas unternehmen!«
    »Das ist klar. Aber wir müssen auch vorsichtig sein.«
    »Henri, wir müssen alles tun, um die Sache aufzuklären!«
    »Das weiß ich ja! Aber soll ich den Abt vielleicht fragen, ob er ihn beseitigen ließ?«
    »Überlegen wir, was zu tun ist. Wir könnten…«
    »Das Beste ist, wir kümmern uns nicht darum«, sagte Henri schnell. »Ich muss nämlich gestehen, dass ich die Verhältnisse hier nicht überblicke. Vieles ist mir rätselhaft.«
    »Dieser Mönch aus dem Skriptorium, dieser Sakristan, er kann doch wirklich in ein Spital eingeliefert worden sein, wenn auch nicht in das, welches du aufgesucht hast.«
    »Ich erhielt die Adresse vom Abt«, erwiderte Henri. »Warum sollte er sich irren? Er schickte mich doch ausdrücklich dorthin!«
    »Ja, seltsam!«, sagte Uthman nachdenklich.
    »Und man versicherte mir dort glaubhaft, es gäbe kein anderes Hospital in der Stadt.«
    »Jemand lügt also. Und man darf sich doch wohl fragen, warum«, meinte Uthman.
    »Warum sollte der Abt dir die Auskunft gegeben haben, wenn er sich damit nur verdächtig macht?«, fragte Ludolf.
    Henri blickte den Pilger nachdenklich an. »Ja, um einen solchen Verdacht geht es tatsächlich. Mein Informant ist jedenfalls verschwunden, und wenn ich mich hier würde niederlassen wollen, würde ich jetzt alles daransetzen, sein Verschwinden aufzuklären. Aber wir reisen am Morgen ab.«
    »Hoffentlich mit der Schriftrolle im Gepäck«, sagte Ludolf leise. »Ich glaube fest daran, dass sie existiert. Sonst haben wir die Reise umsonst gemacht.«
    »Es gibt diese Schrift, ich spüre es!«, sagte Henri.

 
    9
     
     
     
    Ende Februar 1320. Das neue Evangelium
     
    Die Nacht senkte sich über das Kloster des heiligen Barnabas herab. Sie warteten auf das letzte Nachtgebet. Danach würden bis zum Morgengebet fünf Stunden verstreichen. Dies war die Zeitspanne, in der sich das Geheimnis lüften musste.
    Gab es dieses neue Evangelium, wie Ludolf von Suchen behauptet hatte?
    Und wenn ja, was stand darin?
    Henri hatte den Tag über alles genau beobachtet und sich einen Plan zurechtgelegt. Er stimmte mit Uthman die letzten Einzelheiten ab. Wenn sie bei Einbruch der Morgendämmerung nicht zurück waren, sollten Ludolf und Sean nach ihnen suchen. Dann galt es, alle Rücksichten fahren zu lassen.
    »Was soll denn passieren?«, fragte Sean mit ängstlich besorgter Stimme.
    »Alles kann geschehen«, erwiderte Henri. »Vielleicht setzen unsere Nachforschungen Dinge in Gang und lösen Prozesse aus, die niemand vorhersehen kann.«
    »Dann rechnest du wohl tatsächlich damit«, sagte Uthman, »dass dieses Manuskript echt

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