Das neue Evangelium
einen wunderbaren Stoff!«
»Was wollt Ihr mir sagen?«
»Hört genau zu. Ihr scheint ein starkes Interesse an gewissen Dingen zu haben, und das gefällt uns nicht. Unser Kloster birgt keine Geheimnisse, auch nicht das Skriptorium. Es wäre uns lieb, Ihr würdet Euch wie Pilger verhalten, die willkommen sind, wenn sie uns besuchen, die aber auch begreifen, wann sie wieder zu gehen haben.«
»Wir wissen, dass sich in den Klostermauern eine Handschrift befindet, die man dem heiligen Barnabas zuschreibt«, sagte Henri frei heraus. »Wir möchten sie sehen.«
»Wer hat Kenntnis von einer solchen Handschrift?«, sagte der Mönch, der ehrlich überrascht klang.
»Mönche in Nikosia erzählten es meinem Reisegefährten, Herrn Ludolf von Suchen. Sie haben sicher nicht gelogen. Warum sollten sie auch? Sie sind vielmehr in Sorge wegen der besagten Handschrift.«
Ein Junge leerte einen neuen Krug mit Wasser über dem Rücken des Mönchs. Dampf stieg empor, und Proskenion schrie auf. Das Wasser musste kochend heiß sein. Henri fragte sich, wie ein Mensch diese Tortur überhaupt ertragen konnte. Oder sogar genießen! Fühlte Proskenion sich als Märtyrer? Er kochte!
Henri blickte zu den anderen Anwesenden hinüber, in deren Gesichtern sah er nur kalten Abscheu.
Proskenion prustete und stöhnte, währenddessen wiederholte er: »Du solltest uns das Leben nicht schwer machen, Pilger. Am besten du ziehst wieder deiner Wege. Es ist nicht gut, dass du mit deinen Gefährten hier herumschnüffelst und irgendwelche unbegründeten Verdächtigungen unter die Leute bringst.«
»So gibt es diese Handschrift des Barnabas also nicht?«, fragte Henri mit Bestimmtheit.
»Es ist unwichtig«, sagte Proskenion. »Wir haben hier einfach keinen Platz für Fremde, die sich Gedanken darüber oder über uns machen. In diesem Kloster leben wir seit jeher nach unseren eigenen Gesetzen.«
»Ich respektiere sie. Aber ein solches Manuskript geht alle an, es darf nicht versteckt werden. Oder beweist mir, dass es nicht existiert.«
»Das muss ich nicht, Pilger«, fuhr der Mönch auf. »Ich kenne etwas Derartiges nicht, das muss euch genügen.«
Henri ließ nicht locker. »Ihr scheint ein seltsames Gewissen zu haben, als käme alles darauf an, dass man keine beweisbaren Spuren hinterlässt. Reicht das Gerücht über ein Evangelium des Barnabas nicht aus, um alle erschauern zu lassen?«
»Ich mag keine schnüffelnden Fremden! Ein Kloster ist ein geschützter Ort. Versteht das endlich!«
»Ich weiß, was ein Kloster ist!«
»Aber es ist auch gleichgültig. Du kannst denken, was du willst, und gesehen haben, was du willst. Es sind deine Augen. Und deine Blicke. Jedenfalls ist dies der gegenwärtige Zustand.«
»Die Aussagen von Mönchen in Nikosia können von erheblicher Bedeutung sein! Dann nämlich, wenn sie zu einem Verdacht führen.«
»Es sind leere Blicke, die der nächste Wind wegweht wie die Blätter, die im Herbst vergeblich versuchen, sich auf einem Ast festzuhalten.«
»Sind für Euch gemalte Bilder kein Beweis? Ist nicht auch das beweiskräftig, was man mit eigenen Augen gesehen hat? Ich sah im Skriptorium ein Bild, auf dem ein Mord zu sehen ist!«
Proskenion lachte kalt: »Ein solches Bild hat nie existiert. Bei uns regeln Moral und Glaube die Sitten, Mord gehört nicht dazu.«
»In meiner Begleitung befinden sich zwei Pilger, die starkes Interesse an dem neuen Evangelium haben«, sagte Henri. »Vielleicht ist es nur eine Abschrift des Matthäus-Evangeliums, das man im Grab des heiligen Barnabas gefunden hat. Jedenfalls will die christliche Öffentlichkeit es begutachten. Vorher wird sie keine Ruhe geben. Darauf müsst Ihr gefasst sein.«
»Wir alle sind von Gott. Und die Kirche vertritt den Willen des Herrn auf Erden. Aber ich will nicht länger mit dir streiten. Ich habe gesagt, was ich von dir und deinen Begleitern erwarte. Und nun geh.«
»Ich werde nichts tun, das ungesetzlich ist«, erklärte Henri. »Und ich will diesen Ort nicht entweihen. Aber wenn es etwas Schändliches innerhalb dieser Mauern gibt, dann kommt es nicht von mir oder meinen Begleitern. Dann kommt es aus dem Inneren dieser Mauern.«
»Geh jetzt besser!«, sagte der blonde Mönch, der Henri hergeführt hatte.
»Wie Ihr wünscht«, sagte Henri. »Ich gehe.«
»Das ist gut«, schnaufte der Badende, der zuletzt stumm von einem zum anderen gesehen hatte, und bespritzte sich mit heißem Wasser.
Der Mönch, der zuletzt gesprochen hatte, trat nahe an den
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