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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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in dieser Nacht eine schlimme Erkenntnis zuteil«, gab Henri offen zu. »Nur einmal in meinem Leben habe ich Ähnliches erlebt, als der Orden der Templer aufgerieben wurde. Im Moment kommt es mir so vor, als stürze alles in sich zusammen.«
    »Armer Henri«, sagte Madeleine voller Mitleid.
    »Kann man Ihnen helfen, Herr Henri?«, bot sich Jean Grimaud an.
    Henri blickte in die brennenden Augen des Fremden, der ein reines Französisch sprach. Henri konnte keine Falschheit in seinem Blick entdecken, aber der andere schien ihn damit regelrecht durchbohren zu wollen. Er ist neugierig, wie Jesus de Burgos, dachte Henri, die beiden sind vom gleichen Schlag. Es sind Menschen, die sich in das Leben anderer hineindrängen. Warum genügt ihnen das ihrige wohl nicht?
    »Vielen Dank, ich werde damit schon alleine fertig werden«, sagte Henri. »Aber vielleicht wisst Ihr, wie es ist, wenn Gewissheiten urplötzlich keine mehr sind.«
    »Natürlich ist auch mir so etwas nicht erspart geblieben«, beeilte sich Grimaud zu versichern. »Das trifft jeden einmal. Männer müssen damit leben, dass ihre Welt von Zeit zu Zeit zusammenbricht.«
    »Im Heiligen Land gab es fortwährend Situationen, wo alles zusammenbrach«, sagte Henri. Er spürte, dass es ihm gut tat, zu sprechen. Der Fremde schien mitfühlend zu sein. »Im Heiligen Land fühlten wir Kämpfer uns oft von Gott verlassen, wir zweifelten an ihm und an unserem Auftrag. Wir sahen Unschuldige sterben und das Böse im Blut waten. Das waren schlimme Erfahrungen. Und die ehrlichen Männer der Orden konnten weder sich noch die Kreuzfahrer vor dem Elend bewahren.«
    »Welchem Orden gehörtet Ihr an, Herr Henri?«
    Henri zögerte. Er merkte jetzt, dass er in allzu redseliger Stimmung war, und versuchte, eine direkte Antwort zu umgehen. »Wir waren alle aufrechte Christenmenschen. Und wir versuchten, die heiligen Stätten der Christenheit gegen eine Übermacht zu verteidigen. Habt Ihr gekämpft, mein Herr?«
    »Ja – nein, nicht im Outremer, wenn Ihr das meint. Ich blieb an der Heimatfront, wo es genug Feinde gab. Und diese Gegner waren gewiss nicht harmloser als die grimmigen Araber!«
    »Wen meint Ihr?«
    »Nun…«
    »Ketzer gibt es genug, in jedem Land«, unterbrach ihn Henri. »Aber manchmal trifft es die Falschen. Und die eigentlichen Frevler sitzen nicht selten auf den Thronsesseln.«
    »Jetzt müsste ich fragen, wen Ihr meint«, sagte Grimaud. »Aber ich kann es mir schon denken. Habt Ihr Ordenstracht getragen? Ich frage nur, weil Ihr ein wirklich aufrechter Christenmensch zu sein scheint!«
    Henri wollte jetzt keine Auskunft mehr geben. Dieser Mensch war ihm fremd. Und er vertraute ihm nicht, obwohl Madeleine offensichtlich an ihm Gefallen gefunden hatte. Madeleine schien ihn anzuhimmeln, aber sie war ohnehin in einer eigentümlichen Verfassung.
    Madeleine sagte: »Wann treffen wir alle zusammen? Ich will nicht länger warten.«
    »Wir dürfen nur bis zum Mittag im Kloster bleiben«, sagte Henri. »Man wirft uns vor, Unruhe zu stiften. Also reiten wir nach Enkomi. Auch du solltest dich um deine Sachen kümmern, Madeleine. Hilf Sean, er packt bereits alles zusammen.«
    »Begleiten Ludolf und Jesus uns?«
    »Sie haben sich noch nicht entschieden.«
    »Dieser Jesus de Burgos steht im Verdacht, Unrecht begangen zu haben«, warf Grimaud ein. »Jedenfalls hörte ich davon. Er soll eine üble Gestalt sein. Ich sähe es daher lieber, wenn Ihr nicht zusammenrittet.«
    »Ach? Kennt Ihr Jesus de Burgos etwa näher?«
    »Wie gesagt, ich hörte davon. Er hat Menschen ans Messer geliefert, sagt man. In meinem Heimatland sucht man nach ihm. Keine Amtsstube, in der nicht sein Bild hängt und eine Belohnung auf den wartet, der ihn überstellt. Hütet Euch vor ihm!«
    Henri war ziemlich verstört. Er hatte das Gefühl, dieser Tag brächte immer neue Hiobsbotschaften hervor. Was wusste dieser Mann über Jesus de Burgos? Henri mochte nicht glauben, dass Grimaud leichtfertig über den Pilger urteilte, und so schien sich sein eigener Verdacht gegen ihn zu bestätigen. Aber hatte dieser Grimaud tatsächlich einen Grund, ihn mit ihm zu teilen?
    Es war so viel in Bewegung geraten, dass Henri der Kopf schwirrte.
     
     
    Ludolf von Suchen wurde beim Ankleiden überrascht. Die Tür wurde aufgebrochen, fünf Laienmönche stürmten herein. Zwei hielten den ratlosen Pilger fest, die anderen durchstöberten seine Sachen, die er soeben packen wollte.
    »Wo ist es?«, schrie ein großer blonder Mönch, ein

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