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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mattias Gerwald
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als Menschen darzustellen, der weder göttlich noch auf irgendeine Weise übersinnlich begabt ist. Er war ein einfacher Mensch, der darunter litt, von Gott für dessen Offenbarungen auserwählt worden zu sein.«
    »Das war es also, was dir dieses Evangelium zweifelhaft erscheinen ließ«, konstatierte Henri.
    »Dies und die geographischen Ungereimtheiten. Sie waren ziemlich gravierend. Ich kenne Palästina und Syrien ja genau, und so war mir schnell klar, dass der Verfasser nie und nimmer ein Zeitgenosse Jesu gewesen sein konnte. Wahrscheinlich war er nie an den beschriebenen Orten gewesen.«
    »Das scheint mir noch nicht die Falschheit zu erklären«, sagte Henri, »es kann eine Ungenauigkeit sein, weil der Verfasser sich auf andere Dinge konzentrierte, die ihm wichtiger waren.«
    »Wer auch immer dieses Evangelium verfasste und wann immer es entstand«, erklärte Uthman, »dem Verfasser ging es um eine islamische Fassung der vier kanonischen Evangelien. Dadurch sollten wohl auch christliche Leser von der Richtigkeit des Islams überzeugt werden. Insofern ist mir dieses Evangelium sympathisch, wie du verstehen wirst. Nur daran, dass es echt ist und dass es wirklich von Barnabas stammt, habe ich starke Zweifel.«
    »Es ehrt dich sehr, Uthman, dass du dich nicht hast hinreißen lassen, sondern mit klarem Verstand die Ungereimtheiten aufgedeckt hast. Es hat mir vielleicht das Leben gerettet!«
    »Sieh es nicht so dramatisch, Henri. Ich glaube jedenfalls, dass der Verfasser des Evangeliums – vielleicht war es wirklich dieser seltsame Sakristan des Barnabas-Klosters – die Evangelien genau kannte, aber mit dem islamischen Glauben sympathisierte. Von Barnabas weiß ich zu wenig, um sagen zu können, ob all dies überhaupt auf ihn zutreffen könnte. Zu seinen Lebzeiten gab es natürlich den Islam noch nicht. Er entstand erst mit Mohammed, Aischa, Fatima, Abu Bakr, Omar und Ali im siebten Jahrhundert nach deinem Propheten Christus.«
    »Christus war kein Prophet!«, sagte Henri. »Er…«
    »Ja! Ich weiß!«, fügte Uthman lachend hinzu.
    Sie durchquerten jetzt ein weites Tal, an dessen Ende das Meer schimmerte. Dort begann die Karpasia-Halbinsel.
    »Barnabas muss ein großer, gläubiger Mann gewesen sein«, erzählte Henri. »Er und Paulus begannen in Antiochia noch zu Lebzeiten Jesu mit der Missionierung der Heiden. Durch Barnabas kam der Christenname zuerst in die Welt. Er ist ein untadeliger Zeuge. Wenn er dieses Evangelium geschrieben hätte – bei Gott, ich wäre verzweifelt.«
    »Und zu Recht«, warf Jesus ein.
    »Tröste dich«, sagte Uthman. »Tröstet euch alle, ihr Christenmenschen! Die Schmach ist abgewendet.«
    »Später erzählte Paulus im zweiten Korintherbrief von Barnabas, seinem Freund«, erinnerte sich Henri, dessen Unbeschwertheit langsam zurückkehrte. »Er sagte: Ich weiß von einem Menschen, der in Christus im Leibe, oder außer dem Leibe, das weiß Gott allein, bis zum dritten Himmel aufgestiegen ist. Und ich weiß, dass dieser Mann ins Paradies gerissen wurde und unsagbare Worte gehört hat, die kein Mensch aussprechen darf. Barnabas war in Paulus’ Augen ein Heiliger. Da lebte er schon hier auf Zypern. Es war im Jahr 44 nach Christus. Barnabas predigte zu den Heiden – übrigens zuerst dort, wo jetzt Joshua auf uns wartet, im Kloster des heiligen Andreas.«
    »Dann werden wir dort seine Spuren wieder aufnehmen!«, sagte Ludolf begeistert.
    »Ich kann es kaum erwarten, Joshua wieder zu sehen!«, sagte Sean.
    »Erzähle mir noch von Barnabas, unser Weg ist ja lang«, bat Uthman. »Er scheint mir ein äußerst interessanter Mensch gewesen zu sein.«
    »Er war ein Levit, ein geborener Jude«, sagte Henri. »Er lebte zuerst in der Jerusalemer Urgemeinde der Judenchristen und verkaufte sein Hab und Gut, um den Erlös dieser Gemeinde zu stiften. Aus diesem Grunde wurde er erstmals erwähnt. Als Jesus starb, war er mittellos, wie auch die anderen Führer der Gemeinde. Ihr irdisches Leben war ihnen völlig gleichgültig geworden, in ihren Augen bestand ihre einzige Aufgabe darin, sich auf die Aufnahme in das Reich Gottes vorzubereiten und sich zu läutern, dazu bedurfte es keines persönlichen Reichtums.«
    »Es muss eine Stimmung wie bei den Kreuzfahrern gewesen sein!«, meinte Ludolf.
    »Alle Welt lebte damals in Furcht. Und einige der Apostel vollbrachten wahre Wunder. Viele Gläubige verkauften ihre Güter und Besitzungen auf Anraten von Barnabas und spendeten die Erlöse den Aposteln. Diese

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