Das Nilpferd
und der Whisky war ausgelaufen. An den Glassplittern waren Blutspuren. Als sie vorgestern draußen im Park war, muß Lilac mit unfehlbarem Geschmack diesen unerwarteten Schatz entdeckt und den größten Teil des Nachmittags glückselig daran geleckt und gesaugt und geschleckt haben. Gerste wird sich ihr kaum je in angenehmerer Gestalt präsentiert haben. Sie hat nicht alles geschafft, werdet ihr erfreut zur Kenntnis nehmen, aber genug, um sich prächtig zu amüsieren und einen bösartigen Kater zu kriegen. So einfach ist das alles.«
Alle starrten mich schweigend an. Dann fing Simon an zu lachen.
»Betrunken!« sagte er. »Also war Lilac einfach betrunken. Wißt ihr, und ich dachte noch, das kann einfach kein Kreuzkraut sein! Alec und ich haben einen ganzen Tag lang das Feld abgesucht, weil es wirklich hier in der Gegend wächst. Muß man rausreißen, wißt ihr. Ein Unkrautvernichtungsmittel bringt’s nicht, weil es dann den Pferden komischerweise erst recht schmeckt. Betrunken!«
Oliver schlug auf den Tisch. »Schön und gut!« sagte er mit vor Zorn blutleerem Gesicht. »Das mag ja sein. Mag sein. Aber …«
»Clara«, unterbrach Max gewichtig. »Was ist mit Clara?Willst du etwa darauf hinaus, daß der Bursche es gewagt haben sollte …«
Ich merkte, daß ich hier behutsam vorgehen mußte.
»Ihr werdet erfreut sein, wenn ihr hört, daß Davey mit Clara nicht dasselbe vorhatte wie mit Jane, Oliver und Lilac. Er hat heute nachmittag versucht, ihr etwas einzuflößen, das mit seinem Geist zu tun hat …« Ich fand, das war nah genug an der Wahrheit, um akzeptiert werden zu können, sie konnten die Wendung buchstäblich oder metaphorisch nehmen, ganz wie sie wollten. »Aber Simon hielt ihn davon ab. Es ist mir aber ein absolutes Rätsel, was ihr euch dabei gedacht habt, das arme Mädchen zu Davey zu schicken.«
»Wir wollten nur ihr Bestes«, sagte Mary hilflos. »Es schien uns das Richtige zu sein.«
»Hört zu, es sei mir ferne, euch beiden Vorträge zu halten«, sagte ich, »aber Clara ist das geknechtetste junge Ding, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Ihr gebt jedermann mehr als deutlich zu verstehen, daß ihr euch ihrer schämt, ihr rüffelt sie in aller Öffentlichkeit wegen ihrer Unbeholfenheit, was diese natürlich gleich zehnmal schlimmer macht, und ihr gebt ihr, wie mir scheint, absolut nicht das geringste Anzeichen, daß ihr sie liebt und gern um euch habt.«
»Was fällt dir ein?« brüllte Max über den Tisch. »Was fällt dir eigentlich ein?«
»Ach, tu doch nicht so, Max, er hat recht, und das weißt du genau«, sagte Mary. »Er hat völlig recht. Clara entspricht nicht deinen Vorstellungen vom vollkommenen Accessoire, und das macht dich verrückt.«
Erst wollte Max ihr widersprechen, aber die Vorstellung einer öffentlichen Szene paßte offensichtlich nicht zu seinem Image, also zuckte er nur die Achseln und schwieg.
»Simon hat bei Clara in der letzten Woche Wunder gewirkt«,sagte ich. »Er hat sie in den Ställen mithelfen, die Hühner füttern und die Welpen ausführen lassen, und er ist mit ihr im See schwimmen gegangen. Er hat ihr Selbstvertrauen gegeben, und er hat ihr gezeigt, daß er sie um ihrer selbst willen mag.«
»Nein, wirklich, ich habe gar nichts gemacht …«, fing Simon an.
»Sie war von ihrer heutigen Erfahrung mit Davey sehr erschüttert«, fuhr ich fort. »Das hat sie mir erzählt, als ich sie vor dem Essen in ihrem Zimmer besucht habe.«
»Gute Güte, wir waren heute abend aber fleißig, was?« sagte Oliver. »Ganz der …«
»Was genau meinst du mit ›ihrer heutigen Erfahrung‹«, unterbrach Mary.
»Na ja, wie gesagt, Davey kann auf seine Weise sehr anstrengend sein. Sie war von alldem etwas verängstigt. Zusätzlich zur Erniedrigung, denke ich mir. Ihr habt sie zu Ärzten und Psychiatern geschickt und in spezielle Sommerlager und religiöse Zufluchtsorte, als sei sie kränker und verrückter als ein tollwütiger Hund. Und jetzt befehlt ihr ihr, daß sie mit Davey in den Wald gehen soll, damit sie wie eine Aussätzige geheilt wird. Simon hat sie zufällig zusammen gesehen und Clara mitgenommen. Er hat ihr gesagt, daß absolut alles an ihr völlig in Ordnung ist. Er hat ihr gesagt, daß er sie genau so bewundert, wie sie ist, und sollte sie es je wagen, etwas von sich zu ändern, würde er ihr das nie verzeihen. Natürlich verehrt sie Simon, und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlt sie sich geliebt, einfach und ordentlich geliebt. Ich glaube, was sie
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