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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Begrüßung in die Halle wie Jo und Amy March in der klebrigsten Sonntagnachmittagsserie, die Du Dir vorstellen kannst. Deine Tante Anne kam aus dem vorderen Salon, gewann mit einer Länge Vorsprung und wurde als erste geküßt. Michael sah aus der Umarmung seiner Frau hoch, als wir zum Bremsen unsere Hacken in den Marmor stemmten und peinlich berührt zum Stehen schlitterten.
    »Davey! Und Tedward! Ha-ha-ha!«
    Mein Gott, man kann diesen Mann nur beneiden. Nicht um seine Macht, seinen Reichtum und seine Position, obwohl man ihn, ehrlich gesagt, auch darum beneiden kann, sondern um seine Autorität und seine – doch, ja, seine Macht in diesem Sinne: seine Macht in seiner Familie und über seine Familie und um die großen Richtstrahlen verdammt reinen Charismas, die er so uneingeschränkt und unaufhörlich von sich gibt, ungefähr so, wie Gewichtheber und Feuilletonchefs Körpergeruch abgeben.
    Vergleichen Sie und arbeiten Sie die Unterschiede heraus:
    Letzte Weihnachten wird Ted zu Helen nach Hause eingeladen, Helen ist meine zweite Frau und die Mutter von Leonora und Roman.
    Ted, der nicht Auto fährt, landet fahrplangemäß, wie dem Haushalt per Brief und Fax angekündigt, in Didcot Station. Jemand da, um ihn abzuholen? Kein Schwein.
    Also nimmt Ted sich für die letzten zwölf Meilen ein Taxi. Er kommt an und drückt mit der Spitze seiner Plumpuddingnase auf die Klingel, denn seine Arme sind mit Geschenken überladen.
    Niemand kommt, also drückt Ted gegen die Tür und merkt, daß sie aufgeht. Er geht zum Wohnzimmer und wankt unter dem Gewicht seiner Pakete. Er erreicht dieSchwelle mit vor festlichem Frohsinn rosigen Wangen und Augen, die wie Elfenlämpchen glitzern. Old Ted ist der Inbegriff weihnachtlicher Stimmung, Heinrich der Achte, wenn er mal gute Laune hat, Bruder Tuck und Clarence der Engel, alle in ein strahlendes Bündel zusammengerollt. Er ist ganz Heiterkeit und Lebensfreude, väterliche Liebe und julfestliches Vergnügen. Er gleicht Maronen, die am offenen Feuer rösten, einem Johannisbeerpunsch mit Glühwein und haufenweise Mistelzweigen. Seine blühend leuchtende Gutmütigkeit verspricht Spiele, Wangenkneifen, Possen, Hoppe hoppe Reiter, Kurzweil und Keksscherze.
    Seine Exfrau, sein einziger Sohn, seine einzige Tochter, der Freund seiner einzigen Tochter und der einzige neue Mann seiner Exfrau sehen vom Fernseher hoch, wo Cilla Black gerade die Weihnachtssendung von
Herzblatt
moderiert, und sagen:
    »Pst!«
    »Ach, du bist’s.«
    »Hast du was getrunken, Daddy?«
    »Hi.«
    »Gott, du siehst ja furchtbar aus.«
    »Pst!«
    Zu-Haus-ist-der-Seemann-zurück-von-der-See-und-der-Jäger-zu-Hause-vom-Hügel, das glaub ich aber nicht die Bohne.
    Das war genau der flegelhafte, taktlose, mürrische Empfang, der neunundneunzig von hundert Vätern tagtäglich zuteil wird. Es war weder neu noch überraschend. Die einzig angemessene Reaktion auf so gefühlloses Benehmen ist natürlich, sich zu betrinken und so unangenehm zu werden, daß du der ganzen Bagage den Gefallen tust, ihr eisiges Willkommen zu rechtfertigen und beim nächsten Mal dasselbe zu garantieren.
    Augenblick weinerlichen Selbstmitleids vorbei, ich fahre fort. Wir verließen Deinen Onkel Michael (einen Mann, der im Leben noch keinen Raum betreten hatte, ohne daß alle Anwesenden aufsprangen und sich entweder wie zahme Gazellen um ihn scharten oder vor Angst aus dem Fenster sprangen) in der Halle.
    »Also, Davey … was gibt’s Neues, was hast du zu erzählen?«
    »Die Erdbeersträucher sind zum Bersten voll. Ich hab sie mir gestern abend mit Onkel Ted angeschaut.«
    »Dann gibt’s Erdbeeren zum Nachtisch. Ja. Einen Berg Erdbeeren. Tedward!« Michaels blaue Flecken hinterlassende Bärenumarmung. »Ich hab schon gehört.« Ausgebreitete Arme, hochgezogene Schultern, wie der gekreuzigte Jesus.
    Plötzlich konnte man sehen, daß Christi Haltung am Kreuz in Wirklichkeit bloß das große Schulterzucken eines mitteleuropäischen Juden war. »Ich werde gekreuzigt, meine Mutter steht am Fuß des Kreuzes und jammert, weil ich kein frisch gewaschenes Leintuch anhabe. Wai geschrien!« – so ein Schulterzucken. Die Sorte, die Nichtjuden nie hinkriegen. Ich verstand es als Bezugnahme auf meine Entlassung beim Lumpenblatt.
    »Ach, wurscht«, sagte ich (mein Schulterzucken, erkannte ich im Spiegel in der Halle, verlieh mir den Buckel einer sauren, verdrossenen Matrone), »es ist bloß eine blöde Zeitung.«
    »Genau! Bloß eine Zeitung. Das hab ich auch

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