Das Nilpferd
gesagt, als ich sie ’82 verkauft habe. Es ist bloß eine Zeitung. Sagt mal …« Er brach ab und sah sich um.
»Und wo ist Simon?«
Annie hatte sich bei ihm eingehängt. »Simon hat bei Robbie übernachtet. Treckerrennen, wie du aus dem Fax,das ich dir geschrieben habe, genau weißt. Er ist morgen früh wieder zurück.«
Annie schickt Michael also Faxe und erzählt ihm vom Kommen und Gehen seiner Sippschaft, ja? Ich muß schon sagen, Jane, daß mich das mächtig überrascht hat, denn ich war ja, wie du dich entsinnen wirst, am Montag im Salon dabeigewesen, als Simon beiläufig verkündete, er werde über Nacht wegbleiben, und Anne es kaum gehört zu haben schien. Man sagt, die einzige Fähigkeit, die ein Finanzgenie brauche, sei der Blick fürs Detail. Wenn das auch für Elternschaft zutrifft, bin ich ein hoffnungsloser Fall, da es schon all meine Kraft in Anspruch nimmt, mir Geschlecht, Alter und Namen meiner beiden zu merken.
Nachdem alle ausreichend gegrüßt und umarmt worden waren, eilte Michael nach oben, um zu baden und seinen Bankiersanzug durch das familienfreundliche Polohemd und die Shorts zu ersetzen. Das Wissen, daß er oben war, verwandelte Haus Swafford. Schwer zu sagen, wie genau die Atmosphäre sich verändert hatte. Es war, als hätten wir in den letzten Tagen bloß die Zeit totgeschlagen. Ich bin ein paar Jahre älter als er, aber es gelingt ihm immer noch, daß ich mich in seiner Gegenwart wie ein Vierjähriger fühle. Um so dämlicher war es daher, daß ich ihm gleich an seinem ersten Abend zu Hause eröffnete, was ich vorhatte.
»Du willst
was
?« Seine Augenbrauen rückten zusammen und bekamen einen Ausdruck, der ein finsterer Blick brüllenden Zorns, aber auch ein Stirnrunzeln amüsierter Verblüfftheit sein konnte. Furchttriefend, wie ich war, interpretierte ich ihn als ersteres.
»Michael, Michael … es geht nicht darum …«
»Jetzt bist du also eine Art Lohnschreiber? Eine Art … wie hieß die noch gleich? Eine Art im Dreck wühlende Kitty Kelley?
Das Privatleben Michael Logans
. Nein, nein,schlimmer, noch viel zu zahm.
Das
heimliche
Leben Michael Logans. Die heimlichen Leben Michael Logans
. Tedward, Tedward. Das ist ja furchtbar.«
Scheiße. Scheiße-Scheiße-Mist-Mist. Ich breitete die Arme aus.
»Michael, du altes Walroß, ich wußte, daß das passieren würde. Ich hab mich natürlich völlig falsch ausgedrückt. Es geht nicht um
dich
, du interessierst mich nicht. Nicht
du per se
. Es geht um die ganze … die ganze
Sache
.«
»Für einen Dichter kannst du dich nicht gerade bewundernswert ausdrücken.«
Ich lehnte mich nervös zurück. Der Mann hatte sich so gefreut, als er mich sah, war so ungeheuer und kolossal entzückt gewesen. Jetzt war ich mit der Tür ins Haus gefallen und hatte ihn in die Enge getrieben. Wir saßen allein am großen Eßtisch, die Gedecke waren abgeräumt, Annie hatte sich in den Salon zurückgezogen und Davey sich zur Nachtruhe begeben. Erdbeeren mit Sahne erfüllten uns – Michaels Worte werden niemals leichthin gesagt –, noch dazu die echte, altmodische Sorte Erdbeeren, Spätlese, die Sorte, der man das Fruchtfleisch so leicht auspreßt, wie man eine junge Möhre aus dem Misthaufen zieht, nicht dieser moderne Abklatsch, dem die Blätter abfallen und der nach abgestandenem Cidre schmeckt; auch guter Wein füllte uns, und eine milde Wolke von Michaels Havanna und meinen Rothies hing in der Luft. Ich hatte den Augenblick für günstig gehalten.
»Verdammt noch mal, Michael, du kennst mich doch«, sagte ich mit einem gewinnenden Lächeln.
»Genau davor hab ich Angst«, erwiderte er.
»Unter deiner Würde. Mich interessieren nicht die Gerüchte oder Skandale … nicht, daß es einen gab, sicherlich, und wenn doch, ist er mir egal. Ich sage Biografie, aber ichmeine dabei auch eine Art Geschichtsschreibung, eine Art Abriß. Schau mal, Michael«, ich beugte mich wieder vor, »ich glaube, die beiden großen Fäden in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts sind die Angelsachsen und die Juden. Im nächsten Jahrhundert sind es vielleicht die Lateinamerikaner und Araber oder die Schwarzen und die Asiaten oder die Venusier und die Marsianer, soll mich auch nicht jucken, aber in den letzten hundert Jahren« (ich improvisierte hier natürlich wie verrückt) »haben die Juden und die Anglos mehr oder weniger das Antlitz des gesamten Globus gestaltet, das Geistesleben, die Kunst, die Populärkultur, die Geschichte, die … ach, Gott weiß, was noch
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