Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
Körperbau auszeichnete; die kräftigen Arme waren über einer muskulösen Brust verschränkt, und ein Lächeln lag um den Mund unter dichtem Schnurrbart – das selbstbewußte Lächeln eines Mannes, der Erfolg gewohnt ist.
      »Leonardo«, sagte sie.
      »Leonardo, der Kraftmensch, der seine Aussage machte?«
      »Ja, der. Und das hier ist mein Mann.«
      Es war ein schreckliches Gesicht – ein menschliches Schwein, oder vielmehr ein wilder Eber in Menschengestalt, fürchterlich anzusehen in seiner Tierhaftigkeit. Man konnte sich vorstellen, wie dieser abstoßende Mund in der Wut mahlte und schäumte und wie diese kleinen, verschlagen blikkenden Augen die reine Boshaftigkeit versprühten, wenn sie in die Welt sahen. Ein Raufbold, ein Bulle, eine Bestie – all das stand in dem Gesicht mit der mächtigen Kinnlade geschrieben.
      »Mit Hilfe dieser beiden Bilder werden Sie, meine Herren, die Geschichte verstehen. Ich war ein armes Kind vom Zirkus, das man aufs Sägemehl der Manege führte und das durch den Reifen springen mußte, bevor es noch zehn Jahre alt war. Als ich Frau geworden war, sagte mir dieser Mann, daß er mich liebe, doch es war die Begierde, die den Namen Liebe nicht verdient, und in einem unglücklichen Augenblick wurde ich seine Gattin. Seit dem Tag war das Leben für mich eine Hölle und er der Teufel, der mich quälte. In der Truppe gab es niemanden, der nicht wußte, wie er mich behandelte. Er betrog mich mit anderen. Er fesselte mich und bearbeitete mich mit der Reitpeitsche, wenn ich mich beklagte. Sie bemitleideten mich und verfluchten ihn, aber was hätten sie tun können? Sie fürchteten ihn, alle miteinander. Denn er war immer fürchterlich, und wenn er trank, gebärdete er sich mörderisch. Immer wieder wurde er angeklagt, weil er andere tätlich angriff und die Tiere quälte, aber er besaß viel Geld, und Strafen machten ihm nichts aus. Die besten Leute verließen uns, und mit der Schau ging es allmählich bergab. Nur Leonardo und ich blieben bei ihm und noch Jimmy Griggs, der Clown. Der arme Teufel hatte nicht mehr viel, was ihn fröhlich machen konnte, aber er tat sein Mögliches, die Dinge zusammenzuhalten.
      Dann drängte Leonardo mehr und mehr in mein Leben. Sie sehen, was das für ein Mensch war. Jetzt weiß ich, daß in dem herrlichen Körper ein armseliger Geist steckte, aber im Vergleich zu meinem Mann schien er mir der Erzengel Gabriel. Er bedauerte mich und half mir, bis aus unserer Vertrautheit schließlich Liebe wurde, tiefe, tiefe, leidenschaftliche Liebe – eine Liebe, von der ich geträumt, die zu erfahren ich jedoch nie gehofft hatte. Mein Mann ahnte davon, aber ich glaube, er war nicht nur ein Raufbold, sondern auch ein Feigling, und Leonardo war der Mann, der ihm Angst einflößte. Er nahm auf seine Weise Rache, denn er quälte mich mehr als zuvor. Eines Abends zog mein Schreien Leonardo zu unserem Wohnwagen. An diesem Abend tat sich der Abgrund vor uns auf, mein Liebhaber und ich erkannten, daß die Tragödie unvermeidlich war. Mein Mann war nicht wert zu leben, und wir beschlossen, daß er sterben sollte.
      Leonardo besaß einen schlauen intriganten Verstand. Er war es, der den Plan entwarf. Das sage ich nicht, um ihm die Schuld zu geben, denn ich war bereit, den ganzen Weg mit ihm gemeinsam zurückzulegen. Aber ich hätte mir einen solchen Plan nie ausdenken können. Wir fertigten eine Keule an – das heißt, Leonardo fertigte sie an –, in den Bleikopf steckte er fünf lange Stahlnägel mit den Spitzen nach außen, die eine Spur wie die Krallen eines Löwen hinterließen. Damit wollten wir meinem Mann den Todesstreich versetzen, und doch würden wir beweisen können, daß der Löwe, den wir loslassen wollten, den Schlag ausgeführt habe.
      Es war eine stockdunkle Nacht, und mein Mann und ich gingen wie gewöhnlich, das Tier zu füt tern. Wir trugen rohes Fleisch in einem Zinkeimer. Leonardo wartete bei dem großen Wohnwagen, den wir auf dem Weg zum Käfig passieren mußten. Aber er reagierte zu langsam, wir waren schon vorüber, ehe er ausholen konnte. Er folgte uns auf Zehenspitzen. Als der Schlag fiel, hörte ich am Geräusch, wie der Schädel meines Mannes zerbarst. Dabei tat mein Herz einen Freudensprung. Ich stürzte zum Käfig des großen Löwen und zog den Riegel auf, der die Tür verschloß.
      Und dann geschah das Fürchterliche. Vielleicht haben Sie davon gehört, wie schnell diese Geschöpfe Menschenblut wittern und wie sehr dieser

Weitere Kostenlose Bücher