Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
Furchtbares, das in den Einzelheiten nie aufgeklärt wurde.
      Anscheinend wurde das ganze Lager gegen Mitternacht vom Brüllen des Tiers und dem Kreischen der Frau aufgeschreckt. Alle Stallburschen und mehrere Angestellte stürzten aus den Zelten, griffen sich Laternen, und bei deren Licht bot sich ein grausiges Bild. Ronder lag ungefähr zehn Yard vom offenstehenden Käfig entfernt, mit zertrümmertem Hinterkopf und tiefen Klauenspuren über dem Skalp. Nahe der Käfigtür lag Mrs. Ronder auf dem Rücken, und die Kreatur kauerte knurrend über ihr. Das Gesicht war so zugerichtet, daß niemand glaubte, sie würde mit dem Leben davonkommen. Unter Leitung von Leonardo, dem Kraftmenschen der Truppe, und Clown Griggs trieben einige Leute die Bestie mit Stangen von der Frau weg und zurück in den Käfig, den sie sofort verriegelten. Unerklärlich blieb, wie das Tier hatte die Freiheit gewinnen können. Man nahm dann an, das Paar hätte die Tür entriegelt und gerade den Käfig betreten wollen, da sei die Kreatur losgestürzt. Bei der Zeugenbefragung konzentrierte sich das Interesse auf diesen Punkt und darauf, daß die Frau, als man sie in ihren Wohnwagen trug, im Delirium immer wieder die Beschimpfung ›Feigling, Feigling!‹ ausgestoßen hatte. Es dauerte sechs Monate, ehe sie aussagen konnte, aber die gerichtliche Voruntersuchung wurde vorschriftsmäßig abgewickelt und führte zu dem naheliegenden Spruch ›Tod durch Unglück‹.«
      »Was hätte man auch sonst annehmen können?« sagte ich.
      »Ganz recht. Und doch gab es da einige Punkte, die dem jungen Edmunds von der Polizei von Berkshire Kopfzerbrechen bereiteten. Ein aufgeweckter Bursche. Später ist er nach Allahabad versetzt worden. Durch ihn wurde ich in die Sache einbezogen; eines Tages schaute er bei mir vorbei und erzählte die Angelegenheit bei einigen Pfeifen.«
      »War er so ein Dünner, Blonder?«
      »Genau. Ich war sicher, Sie würden sofort anspringen.«
      »Aber was bereitete ihm Kopfschmerzen?«
      »Kopfschmerzen plagten uns beide. Es war so verteufelt schwer, den Fall zu rekonstruieren. Sehen wir uns einmal die Sache vom Löwen aus an. Er war freigekommen. Was tut er? Er macht ein paar Sätze; und hat Ronder erreicht. Ronder versucht zu fliehen – die Spuren der Pranken zeigen, daß es ihn am Hinterkopf erwischte –, und der Löwe reißt ihn nieder. Doch dann läuft er nicht weiter, setzt seine Flucht nicht fort, sondern wendet sich zurück zu der Frau, die neben der Tür stand, reißt sie zu Boden und zerbeißt ihr Gesicht. Ihre Schimpfworte, als man sie zum Wohnwagen trug, könnten bedeuten, daß ihr Mann sie im Stich gelassen hatte. Aber wie hätte der arme Teufel ihr denn helfen können? Sehen Sie die Schwierigkeit?«
      »Ziemlich.«
      »Und dann ist da noch eine andere Frage. Jetzt, wo ich alles durchdenke, komme ich darauf. Es ist nämlich ausgesagt worden, daß zur selben Zeit, als der Löwe brüllte und die Frau kreischte, ein Mann in Angst schrie.«
      »Das war zweifellos Ronder.«
      »Seine Schädeldecke war zertrümmert; so ist kaum zu erwarten, daß er noch etwas von sich hören lassen konnte. Wenigstens zwei Leute haben bezeugt, daß ein Mann und eine Frau geschrien hätten.«
      »Nach meiner Vorstellung war wohl das ganze Lager von Schreien erfüllt. Was die anderen Punkte angeht, glaube ich Ihnen eine Lösung anbieten zu können.«
      »Ich würde sie gern in Erwägung ziehen.«
      »Die beiden standen beieinander, zehn Yard vom Käfig entfernt, als der Löwe ausbrach. Der Mann wandte sich zur Flucht und wurde niedergestreckt. Der Frau kam der Einfall, in den Käfig zu stürzen und die Tür zu schließen. Es war der einzige Zufluchtsort. Sie hat es versucht, den Käfig schon erreicht, als die Bestie nachsprang und sie zu Boden riß. Sie wütete gegen ihren Mann, weil der durch seine Flucht die Rage der Bestie herausforderte. Deshalb ihre Rufe ›Feigling! Feigling!‹«
      »Brillant, Watson! Aber in Ihrem Diamanten sehe ich einen Flecken.«
      »Und der wäre, Holmes?«
      »Wenn die zwei zehn Schritt vom Käfig entfernt waren, wie hat denn dann der Löwe freikommen können?«
      »Vielleicht besaßen sie einen Feind, und der hat den Riegel zurückgezogen.«
      »Und warum sollte das Tier sie wild angreifen, da es doch daran gewöhnt war, im Käfig mit ihnen zu spielen und Kunststückchen vorzuführen?«
      »Vielleicht hat dieser Feind zuvor etwas unternommen, um es in Wut zu

Weitere Kostenlose Bücher