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Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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wurde mir klar, welch wichtige Waffe es sein könnte, wenn wir es bekämen. Ich sagte damals nichts, wodurch meine Überlegung hätte offenbar werden können, denn die Frau hätte möglicherweise geplaudert. Aber ich brütete über dem Problem. Dann verschaffte mir der Überfall auf mich die Gelegenheit, den Baron glauben zu machen, daß gegen mich keine Vorsichtsmaßnahmen mehr ergriffen zu werden brauchten. So hat sich alles zu unseren Gunsten gewendet. Ich hätte noch eine Weile warten können, doch sein Amerikabesuch trieb mich zur Eile. Er hätte nie ein so kompromittierendes Buch hier gelassen. Deshalb mußte ich sofort handeln. Nächtlicher Einbruch war unmöglich. Er hat vorgesorgt. Aber es gab die Möglichkeit, es einmal zu versuchen, wenn seine Aufmerksamkeit abgelenkt war. Das war der Punkt, an dem ich Sie und die blaue Untertasse ins Spiel brachte. Aber ich mußte den Platz, an dem das Buch aufbewahrt wurde, genau kennen, und ich wußte, mir blieben nur wenige Minuten, die Tat auszuführen, denn meine Zeit war durch Ihre schwache Kenntnis über chinesische Keramik begrenzt. Deshalb zog ich das Mädchen im letzten Moment ins Vertrauen. Wie konnte ich ahnen, was sich in dem kleinen Paket befand, das sie so vorsichtig unter ihrem Umhang trug? Ich dachte, sie spielte mein Spiel, aber wie es scheint, hat sie ihr eigenes gemacht.«
      »Er argwöhnte, Sie hätten mich geschickt.«
      »Das befürchtete ich. Aber Sie haben ihn lange genug beschäftigt, daß ich Hand an das Buch legen konnte, wenn auch nicht lange genug, mich unerkannt entwischen zu lassen. Ah, Sir James, ich bin sehr froh, daß Sie gekommen sind!«
      Unser höflicher Freund war infolge einer kürzlich ergangenen Einladung erschienen. Mit höchster Aufmerksamkeit lauschte er dem Bericht Holmes’ über das, was sich ereignet hatte.
      »Sie haben Wunder vollbracht – Wunder!« rief er, nachdem er die Geschichte gehört hatte. »Aber wenn die Verletzungen so schrecklich sind, wie Dr. Watson sie beschreibt, dann ist doch sicherlich unsere Absicht, die Heirat zu durchkreuzen, erreicht, und wir brauchen von diesem furchtbaren Buch keinen Gebrauch zu machen.«
      Holmes schüttelte den Kopf.
      »Frauen der Art der Violet de Merville lassen sich durch solche Zwischenfälle nicht abhalten. Als entstellten Märtyrer würde sie ihn nur um so mehr lieben. Nein, nein. Es ist die moralische Seite der Sache, die wir zerstören müssen, nicht die körperliche. Dieses Buch wird sie wieder auf die Erde zurückbringen – ich kenne nichts anderes, was das zuwege bringen könnte. Es ist seine Handschrift. Daran kann sie nicht vorbei.«
      Sir James nahm beides mit, das Buch und die kostbare Untertasse. Da ich bereits überfällig war, begleitete ich ihn auf die Straße. Unten erwartete ihn ein Brougham. Er stieg hastig ein, gab dem Kutscher, der eine Kokarde am Hut trug, eine Anweisung, und der Wagen fuhr schnell ab. Er ließ seinen Mantel halb aus dem Fenster hängen, um das Wappen außen an der Tür zu verdecken, aber ich hatte es dennoch in dem Licht erkannt, das durch die Scheiben der Haustür fiel. Mir stockte der Atem vor Überraschung. Dann kehrte ich um und stieg die Stufen zu Holmes’ Wohnung hinauf.
      »Ich habe herausgefunden, wer unser Klient ist«, rief ich und platzte fast vor Wichtigkeit. »Denken Sie nur, Holmes, es ist…«
      »Es ist ein treuer Freund und ritterlicher Gentleman«, sagte Holmes und gebot mit erhobener Hand Einhalt. »Das soll uns für jetzt und immer genug sein.«
      Ich weiß nicht, in welcher Weise das beschuldigende Buch verwandt wurde. Vielleicht hat Sir James die Sache in die Hand genommen. Oder – und das ist wahrscheinlicher – der Vater der jungen Dame wurde mit der delikaten Aufgabe betraut. Jedenfalls wirkte es ganz wie gewünscht. Drei Tage später erschien eine Nachricht in der ›Morning Post‹ des Inhalts, daß die Hochzeit zwischen Baron Adelbert Gruner und Miss Violet de Merville nicht stattfinden werde. Dieselbe Zeitung berichtete über die erste polizeiliche Vernehmung im Verfahren gegen Miss Kitty Winter, die unter der schwerwiegenden Anklage stand, ein Attentat mit Vitriol begangen zu haben. Vor Gericht wurden dann so viele mildernde Umstände bekannt, daß das Urteil, wie man sich erinnern wird, das niedrigst mögliche bei solcher Anschuldigung war. Holmes drohte ein Verfahren wegen Einbruchsdiebstahls; aber wenn eine Sache gut und ein Klient ausreichend berühmt ist, wird sogar

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