Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
wies ich darauf hin und erklärte ihm, daß ich nur die Möbel hätte verkaufen wollen.
›Nein, nein‹, sagte er, ›alles.‹
›Und meine Kleider? Mein Schmuck?‹
›Nun gut, was Ihre persönlichen Dinge angeht, so könnte man einige Konzessionen machen. Aber nichts darf ungeprüft aus dem Haus entfernt werden. Mein Klient ist sehr großherzig, doch er hat seine Marotten und einen sehr eigenen Kopf. Für ihn gibt es nur alles oder nichts.‹
›Dann eben nichts‹, sagte ich. Und dabei blieb es. Aber das Ganze erschien mir so ungewöhnlich, daß ich dachte…«,
Hier gab es eine unerwartete Störung.
Holmes gebot mit einem Handzeichen Ruhe. Dann schlich er durchs Zimmer, riß die Tür auf und zog eine große, hagere Frau herein; er hielt sie bei der Schulter gepackt. Sie wehrte sich mit ungeschickten Bewegungen, wie ein riesiges, plumpes Huhn, das man vom Nest genommen hat.
»Lassen Sie mich los! Was wollen Sie von mir?« kreischte sie.
»Was soll das, Susan?«
»Ich wollte gerade reinkommen und fragen, ob die Gäste zum Lunch bleiben, da überfällt mich dieser Mann.«
»Ich höre sie schon seit fünf Minuten, wollte aber Sie, Madame, in Ihrer interessanten Erzählung nicht unterbrechen. Sie sind wohl ein bißchen asthmatisch, Susan? Für solches Tun atmen Sie zu laut.«
Susan wandte dem Mann, der sie gefangen hatte, ein trotziges, doch auch erstauntes Gesicht zu.
»Wer sind Sie überhaupt, und was für ein Recht haben Sie, mich durch die Gegend zu zerren?«
»Ich möchte nur, daß Sie anwesend sind, wenn ich eine Frage stelle. Haben Sie, Mrs. Maberley, irgend jemandem gegenüber erwähnt, daß Sie mir schreiben und mich um Rat fragen wollten?«
»Nein, Mr. Holmes.«
»Wer hat den Brief aufgegeben?«
»Susan.«
»Na also. Und jetzt, Susan, verraten Sie uns, wem haben Sie geschrieben oder sonstwie zu verstehen gegeben, daß Ihre Herrin mich um Rat fragen wollte?«
»Das ist eine Lüge. Von mir hat keiner Bescheid gekriegt.«
»Hören Sie mal, Susan, Leute mit Asthma leben unter Umständen nicht lange. Und Lügen ist eine schlimme Sache. Also: Wem haben Sie davon erzählt?«
»Susan!« rief ihre Herrin. »Ich glaube, du bist eine schlechte, treulose Person. Jetzt erinnere ich mich, daß du mit jemandem an der Hecke gesprochen hast.«
»Das ging um meine Angelegenheiten«, sagte die Frau störrisch.
»Und wenn ich Ihnen sage, daß es Barney Stockdale war, mit dem Sie gesprochen haben?« sagte Holmes.
»Wenn Sie es eh wissen, wieso fragen Sie mich denn?«
»Ich war mir nicht sicher, aber jetzt weiß ich es. Nun, Susan, ich würde es mich zehn Pfund kosten lassen, wenn Sie mir verraten, wer hinter Barney steckt.«
»Jemand, der tausend Pfund hinblättert und nicht bloß zehn, womit Sie angeben.«
»So reich ist der Mann? Nein, Sie grinsen – also eine reiche Frau. Da wir nun einmal schon bis hierher gelangt sind, könnten Sie auch den Namen nennen und sich den Zehner verdienen.«
»Eher sehen wir uns in der Hölle wieder.«
»Aber Susan! Solche Worte!«
»Ich hau jetzt ab. Ich hab die Nase voll von Ihnen allen. Morgen laß ich meinen Kram holen.«
Sie stürmte erregt zur Tür.
»Auf Wiedersehen, Susan. Und Sie sollten Opiumtinktur nehmen…« Dann aber, nachdem sich die Tür hinter der aufgebrachten, wütenden Frau geschlossen hatte, fuhr er, von Munterkeit auf Ernsthaftigkeit umschaltend, fort: »Mit der Bande ist nicht zu spaßen. Beachten Sie nur, mit welchem Eifer sie das Spiel betreibt. Ihr Brief an mich trug den Stempel von zehn Uhr abends. Und doch sagt Susan so spät noch Barney Bescheid. Barney hat nun Zeit, seinen Auftraggeber aufzusuchen und sich Instruktionen zu holen; er oder sie – ich neige letzterem zu, denn Susan hat gegrinst, weil sie dachte, ich mache einen Schnitzer – entwickelt einen Plan. Der schwarze Steve wird einbezogen, und am Morgen drauf um elf Uhr erhalte ich eine Warnung. Das nenne ich schnelle Arbeit.«
»Aber was wollen sie?«
»Das ist die Frage. Wer war vor Ihnen Eigentümer des Hauses?«
»Ein Kapitän im Ruhestand mit Namen Ferguson.«
»Gab es irgend etwas an dem Mann, das Ihnen bemerkenswert erschien?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Ich habe mich gefragt, ob er vielleicht etwas vergraben hat. Heutzutage vergraben die Leute natürlich ihre Schätze eher auf der Bank. Aber Narren gibt es immer
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