Das Opfer
hervorgehen, oder sagen wir besser, nahezu unbeschadet, wenn wir es richtig anstellen.«
»Ich weiß nicht, wen du meinst«, zweifelte Sally für die Übrigen.
»Du hast es eben selbst gesagt, Sally«, erwiderte Scott. »Wer entfernt jemanden für fünf, zehn, zwanzig Jahre oder sogar lebenslänglich aus der Gesellschaft?«
»Der Bundesstaat Massachusetts.«
Scott nickte. »Es geht demnach lediglich darum, einen Weg zu finden, wie wir den Bundesstaat dazu bringen, Michael O’Connell wegzusperren. Die werden das mit Freuden tun, nicht wahr? Wir müssen nur eine Kleinigkeit dazu beisteuern.«
»Und das wäre?«
»Das richtige Verbrechen.«
»Aber sehen Sie denn nicht, wie genial Scotts Plan war?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht, ob genial das Wort ist, das mir dazu einfällt«, antwortete ich, »töricht und riskant kommt mir eher in den Sinn.« Sie schwieg. »Meinetwegen, auf den ersten Blick. Aber ich will Ihnen sagen, was an Scotts Überlegung so einmalig war: Es ging ganz und gar gegen den Strich, oder wie viele unkündbare Geschichtsprofessoren an einem kleinen, renommierten College kennen Sie, die zu Kriminellen werden?«
Ich erwiderte nichts.
»Oder Schulpsychologen und Trainerinnen? Oder Kleinstadtanwältinnen? Und was ist mit der Kunststudentin Ashley? Was könnte wohl dieser kleinen, gut situierten Gruppe ferner liegen als der Beschluss, ein Verbrechen zu begehen? Und zu einem Mittel zu greifen, das Gewalt einschließt?«
»Trotzdem, ich weiß nicht …«
»Wer steht wohl weniger im Verdacht, das Gesetz zu übertreten?Dank Sally und ihrer juristischen Fachkenntnisse wussten sie besser als irgendjemand sonst, worauf sie sich einließen. Und Scott hatte, aufgrund seiner Ausbildung beim Militär, viel mehr das Zeug dazu, kriminell zu werden, als er sich hatte träumen lassen. Lag für sie nicht das größte Problem in der moralischen Hemmschwelle, die ihr Status in der Gesellschaft mit sich brachte?«
»Ich hätte trotzdem damit gerechnet, dass sie die Polizei holten.«
»Und wer garantierte ihnen, dass das System zu ihren Gunsten arbeiten würde? Wie oft haben Sie denn schon die Morgenzeitung aufgeschlagen und sind Zeuge einer Tragödie geworden, die eine obsessive Liebe ins Rollen brachte? Wie oft haben Sie schon den Spruch der Polizei gelesen: ›Uns waren die Hände gebunden‹?«
»Trotzdem …«
»Sie würden bestimmt nicht wollen, dass man in Ihren Grabstein die Worte meißelt: ›Wenn nur …‹«
»Da stimme ich Ihnen zu, aber …«
»Sie befanden sich in durchaus guter Gesellschaft. Filmstars können ein Lied von Stalkern singen. Sekretärinnen in hektischen Büros. Aber auch Leute in Wohnwagenparks oder nicht berufstätige Mütter. Fernsehgrößen. Obsessionen kommen in sämtlichen ökonomischen und gesellschaftlichen Schichten vor. Nur ihre Reaktion auf diese Herausforderung war einmalig. Und was war ihr Ziel? Ashley zu beschützen. Konnte es ein selbstloseres Motiv geben als das? Versetzen Sie sich doch nur mal in ihre Lage. Was würden Sie denn tun?«
Und da stand sie nun im Raum – die einfachste Frage, auf die es doch keine Antwort gab.
Sie holte tief Luft. »In Wahrheit lautete die einzige Frage, ob sie damit durchkommen würden.«
33
Einige schwere Entscheidungen
Scott war wie elektrisiert. Er betrachtete die Frauen, in deren Mitte er stand, und fing an, fieberhaft Pläne zu schmieden, die ihren Zündstoff von der Wut bezogen, die er für Michael O’Connell empfand. Sally rutschte unbehaglich auf ihrem Sessel hin und her, und er sah, wie die Anwältin in ihr an seinem Vorschlag zu knabbern hatte, wie sie seine Worte hin und her wendete und seine Ideen zerpflückte. Sie wird bei allem, was ich vorschlage, die Gefahren sehen, dachte er. Er fragte sich, ob sie genauso sehen würde, dass all diese Gefahren geringer waren als die eine große Bedrohung, der sich Ashley ausgesetzt sah.
Doch zu seiner Überraschung nickte Sally plötzlich. »Was getan werden muss«, erklärte sie kalt, »das muss getan werden. Was auch immer.«
Dann wandte sie sich an Catherine und Hope. »Also, ich denke, wir sind dabei, eine Grenze zu überschreiten, und ihr beide werdet euch vielleicht überlegen wollen, ob ihr etwas damit zu tun haben möchtet. Immerhin ist Ashley Scotts und meine Tochter, wir tragen die Verantwortung. Hope, du bist ihr, zugegeben, eine zweite Mutter gewesen, vielleicht mehr als das, und du, Catherine, ihre einzige richtige Großmutter – aber trotzdem, ihr
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