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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Schritte zu vermeiden. Das Schreiben bediente sich solcher Begriffe wie
Nötigung zum Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen
sowie
Verführung zur Homosexualität
, um Hopes Verhalten zu beschreiben.
    Nicht ein Wort von alledem stimmte. Nicht ein einziger in nahezu pornografischem Detail beschriebener Augenblick hatte tatsächlich stattgefunden.
    Doch Hope wagte zu bezweifeln, dass ihr das im Mindesten nutzte.
    Die abstoßende Beschreibung des angeblichen Vorfalls bediente alte Klischees und irrationale Ängste. Sie sprach in ihrer Grobschlächtigkeit das Unterste im Menschen an.
    Die Tatsache, dass es nie geschehen war, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wer die junge Frau war, dass sie es sich genau aus diesem Grund zum Prinzip machte, niemals die Umkleidekabine der Sporthalle zu betreten, wenn nicht ein anderes Mitglied des Lehrkörpers zugegen war, dass sie, wenn irgendetwas an der Schule aufkam, das auch nur entfernt mit Sexualität zu tun hatte, die Integrität einer Nonne an den Tag legte und schließlich ihre Partnerschaft mit Sally niemals zur Schau gestellt hatte – dies alles zählte plötzlich nicht mehr.
    Auch die Anonymität der Beschwerde hatte nichts zu besagen. Gerüchte und Andeutungen würden sich wie ein Lauffeuer am College verbreiten, und die Leute würden sich in Spekulationen darüber ergehen, wen es getroffen haben könnte, statt darüber nachzudenken,
ob
es überhaupt geschehen war. An einer Highschool oder einer Privatschule gibt es keinen explosiveren Zündstoff als die Unterstellung widerrechtlichen Sexualverhaltens.
    Eine vernünftige, behutsame Untersuchung des Vorwurfs würde es nie geben, so viel war Hope klar. Und ihr energisches Leugnen gegenüber dem Dekan würde vermutlich auch wenig nützen. Außerdem machte sie sich darüber Sorgen, welche Auswirkungen die Sache auf das soziale Umfeld haben würde, in dem sie und Sally verkehrten. Andere Frauen, die wie sie in Partnerschaften zusammenlebten, würden sich wahrscheinlich lautstark ihrer Sache annehmen.
    Sie sah im Geiste schon Kundgebungen und Reden, Zeitungsartikel und Demos am Schultor vor sich, alles angeblich zu ihrer Unterstützung. Viele Frauen wie Hope hassten es, stigmatisiert zu werden, und sie würden sich solidarisch zeigen wollen und nicht bereit sein, zurückzustecken. Das war unvermeidlich. Und das würde, hegte sie den starken Verdacht, jede Chance im Keim ersticken, sich stillschweigend aus der Affäre zu ziehen.
    Sie ging zum Waschbecken und spritzte sich immer wieder kaltes Wasser ins Gesicht, als könnte sie das, was sie erwartete, irgendwie herunterspülen. Sie wollte nicht, dass sich jemand ihre Sache auf die Fahnen schrieb, und sie wollte nicht das Vertrauen ihrer Schülerinnen verlieren, das sie in all den Jahren aufgebaut hatte.
    Sie hatte dem Dekan gesagt: »Nichts von alledem ist vorgefallen. Nichts dergleichen ist jemals vorgefallen. Wie kann ichohne Namen, Datum, Zeitpunkt und ähnlichen Informationen meine Unschuld beweisen?«
    Er hatte ihr recht gegeben und zugesagt, die Anschuldigung vorerst nicht öffentlich zu machen, auch wenn er sie wohl oder übel mit dem Institutsleiter würde besprechen müssen, möglicherweise auch mit dem Vorsitzenden des Kuratoriums. Hope wusste, dass Gerüchte unvermeidlich waren. Sie hatte das sagen wollen, sich dann aber auf die Zunge gebissen, weil sie begriff, dass sie daran kaum etwas würde ändern können. Der Dekan legte ihr nahe, sich in der Schule völlig normal zu verhalten, bis ihnen nähere Informationen vorlägen. »Trainieren Sie weiter, Hope«, hatte Dekan Wilson geraten. »Gewinnen Sie die Ligameisterschaft. Behalten Sie sämtliche Beratungstermine mit den Schülern bei, aber …« An dieser Stelle hatte er gezögert.
    »Aber was?«, hatte Hope gefragt.
    »Lassen Sie immer die Tür offen stehen.«
    Als sie ihre rot geränderten Augen im Spiegel der Damentoilette betrachtete, fühlte sich Hope so verletzlich wie noch nie. Als sie den Zufluchtsort verließ, war ihr klar, dass die Welt, in der sie sich relativ sicher gefühlt hatte, schlagartig zu einem unglaublich gefährlichen Ort geworden war.
     
    Sally versuchte fieberhaft, den Dokumenten, die sie vor Augen hatte, einen Sinn abzugewinnen. Die ganze Zeit hatte sie das Gefühl, dass es im Raum wärmer geworden war; wie bei einem harten Fitnesstraining lief ihr der Schweiß in Strömen herunter.
    Sie vermutete, dass jemand ihr elektronisches Passwort gestohlen und damit verheerenden Schaden

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