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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Dienstmerkmal auf ihrem Handy. Sie sprach mit ihren Nachbarn und fragte sie, ob einem von ihnen etwas Außergewöhnliches aufgefallen sei, besonders, ob sie einen Mann im Eingang, an der Straßenecke oder weiter hinten gesehen hätten, auf den die Beschreibung von Michael O’Connell passte. Keiner von ihnen konnte helfen, denn keiner von ihnen hatte jemanden gesehen, der sich verdächtig benahm.
    Doch je mehr sie sich einredete, Michael O’Connell sei nicht mehr in ihrer Nähe, desto dichter schien er heranzurücken. Sie konnte nie laut und deutlich sagen: »Das war er …«, doch es gab Dutzende kleiner Dinge, verräterische Anzeichen dafür, dass er weder aus ihrem Leben verschwunden war noch Abstand von ihr hielt. Eines Tages kam sie nach Hause und stellte fest, dass jemand ein großes X in den Lack ihrer Wohnungstür geritzt hatte, vermutlich mit einem simplen Taschenmesser oder auch nur einem Schlüssel, der gerade zur Hand war. Ein anderes Mal hatte jemand ihren Briefkasten geöffnet und ihr Häuflein Rechnungen, Werbezettel, Kreditkartenofferten und Kataloge auf dem Boden des Flurs verstreut.
    Im Museum stellte sie wiederholt fest, dass jemand die Sachen auf ihrem Schreibtisch anders angeordnet hatte. Hatte das Telefon gestern noch rechts gestanden, befand es sich am nächsten Tag links. Einmal kam sie herein und fand die oberste Schublade verschlossen, was ganz gegen ihre Gewohnheit war, da sie nichts von Wert aufbewahrte.
    Sowohl bei der Arbeit als auch zu Hause klingelte des Öfteren ihr Telefon ein, zwei Mal hintereinander, doch wenn sie abnahm, war nur das Freizeichen zu hören. Und wenn sie die Anruferkennung überprüfte, erschien nur der Vermerk »Anschluss ohne Nummernangabe« oder aber eine Telefonnummer, die sie nicht kannte. Sie versuchte mehrfach, zurückzurufen,bekam jedoch jedes Mal nur das Besetztzeichen oder eine elektronische Störung.
    Sie war unschlüssig, was sie tun sollte. Ein paar dieser Dinge versuchte sie, Sally oder Scott zu beschreiben, mit denen sie immer noch täglich telefonierte, aber nicht alle, denn einige schienen einfach zu bizarr, um sie auch nur zu erwähnen. Andere mochten zu den üblichen Alltagspannen zählen – so zum Beispiel, dass die Professorin, bei der sie ein Oberseminar besuchte, keinen elektronischen Zugriff auf ihr Zwischenprüfungszeugnis bekam und der Computerservice an ihrem College nicht sagen konnte, wieso eine Reihe ihrer Dateien geblockt waren. Es kostete einige Mühe, diese Probleme zu beheben.
    Wenn Ashley allein in ihrer Wohnung auf ihrem Schreibtischsessel wippte und zusah, wie draußen die Nacht hereinbrach, dachte sie, dass O’Connell alles und nichts war und sie nicht weiterwusste. Mit der Unsicherheit stellte sich Frustration ein und mit der Frustration die kalte Wut.
    Schließlich hatte er sein Wort gegeben. Sie redete sich das immer wieder ein, auch wenn sie ihm eigentlich nicht glaubte. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto größer wurde ihre Hilflosigkeit.
     
    Scott verbrachte eine schlaflose Nacht damit, auf die Unterlagen zu warten, die Professor Burris ihm von Yale per Eilpost schicken wollte. In einer akademischen Laufbahn gibt es nur wenige Dinge, die gefährlicher sind, als des Plagiats bezichtigt zu werden, und Scott wusste, dass er schnell und effizient handeln musste. Als Erstes hatte er zu Hause in seinem Keller den Karton gefunden, in dem er seine Notizen zum Aufsatz im
Journal of American History
aufbewahrte. Anschließend hatte er den beiden Studenten, die ihm vor drei Jahren mit denZitaten und mit Recherchen geholfen hatten, je eine E-Mail geschrieben. Er hatte Glück, dass er von beiden noch Kontaktadressen hatte. Er teilte ihnen nicht direkt mit, wessen er beschuldigt wurde, sondern schrieb ihnen nur, ein Kollege habe ihm zu der von ihm verfassten Arbeit einige Fragen gestellt und er würde möglicherweise auf ihre Erinnerungen zurückgreifen müsse. Es ging ihm nur darum, sie schon einmal vorzuwarnen, während er auf das Schreiben mit den Unterlagen wartete.
    Im Moment konnte er nicht mehr tun.
    Er saß an seinem Schreibtisch im College, als der Eilbote mit einem großen Brief für ihn kam. Er bescheinigte hastig den Empfang und war schon dabei, den Umschlag aufzureißen, als das Telefon klingelte.
    »Professor Freeman?«
    »Am Apparat. Wer spricht da?«
    »Ted Morris, von der College-Zeitung.«
    Scott überlegte einen Moment, bevor er antwortete: »Nehmen Sie an einem meiner Seminare teil, Mr. Morris?«
    »Nein,

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