Das Orakel von Antara
Aber ihre kurze Rast war unbequem und nicht sehr erfrischend. Sie befanden sich b ereits im Ödland, und es gab nicht einmal Holz für ein Feuer. Der Regenguss hatte sie völlig durchnässt, und Vanea begann bald zu frieren. So war sie froh, als Yorn wieder erwachte und zum Aufbruch drängte. Das Reiten hatte sie zumindest warm gehalten. Etwa eine Stunde später sahen sie den Fluss vor sich, der sich seinen Weg durch die karge, immer steiniger werdende Landschaft suchte. Sie folgten seinem Lauf nun weiter nach Nordwesten so gut es ging.
Schon seit geraumer Zeit konnten sie nicht mehr schnell reiten, denn das Gelände stieg ständig an und es gab keinen Weg oder Pfad, dem sie hätten folgen können. Immer wieder verließen sie das Ufer, wenn Geröllmassen oder steile Abhänge ihnen das Weiterreiten verwehrten. Oft mussten sie große Umwege machen, um wieder an den Fluss zurück zu gelangen. Als sie wieder einmal einen großen Bogen geschlagen hatten, hielt Yorn plötzlich an.
„Das gefällt mir nicht!“ knurrte er, als Vanea zu ihm aufschloss. „Schorangar sagte, dass das Heer zwei Tagesmärsche von der Stadt entfernt lagert. Nach meiner Berechnung müssten wir es schon längst erreicht haben. Aber ich kann keine Spur von ihnen entdecken. Eine solche Menge Menschen sollte doch zu finden sein!“
„So? Sollte sie das?“ fragte Vanea lächelnd. „Ich denke doch, dass sie lieber nicht zu entdecken sein sollten. Das ist doch der Sinn der Sache. Wenn wir sie so einfach fänden, könnte das doch auch zufällig herumstreifenden Moradonen gelingen. Aber schau doch mal dort in den Himmel!“
Yorn folgte mit den Augen Vaneas ausgestreckter Hand und sah einen großen Schwarm Krähen, der vielleicht eine Meile entfernt am Himmel seine Kreise zog.
„ Krähen!“ murmelte er. „Wie, bei Saadh, kommen die hier her? Schon seit Stunden habe ich keinen Vogel mehr gesehen. - Aha!“ lachte er dann. „Ja, du hast Recht! Dort, wo die Krähen sind, muss das Heer sein. Die Tiere folgen dem Heer, weil es in den Abfällen dort immer etwas zu fressen für sie gibt. Na, hoffentlich sehen nicht auch die Moradonen die Vögel! Falls auch nur einer von ihnen halb so schlau ist wie du, könnte das leicht zum Verhängnis werden.
Saadh sei Dank! Endlich haben wir Nith gefunden. Ich sehne mich danach, ihn wiederz usehen, und es drängt mich, endlich die Entscheidung herbeizuführen.“
So schnell es das Gelände zuließ, ritten sie weiter, dem Wegweiser des Kr ähenschwarms folgend. Als sie zwischen zwei riesigen Felsbrocken hindurchritten, hörte Yorn plötzlich Vaneas Aufschrei. Ehe er sich jedoch umdrehen konnte, sprang eine Gestalt von hinten auf seinen Sattel, und zwei kräftige Arme umklammerten ihn mit eisernem Griff. Nun kamen von überall hinter den Felsen Krieger hervor, und noch ehe er ein Wort der Erklärung hatte abgeben können, lag er gefesselt am Boden und eine Reihe Lanzenspitzen drohte über seinem Herzen. Nachdem Yorn den ersten Schrecken überwunden hatte, lachte er erleichtert auf. Das waren gute, ehrliche Antarengesichter, die sich da mit grimmigem Ausdruck über ihn beugten.
„Ihr Toren!“ lachte er. „Wollt ihr euren Hochkönig morden? Wo ist Nith? Bringt mich sofort zu ihm! Und nehmt eure Lanzen fort! Die werdet ihr bald genug an den Moradonen ausprobieren können.“
Verblüffung und Misstrauen zeichnete sich auf den Gesichtern der Wachen ab, doch dann senkten sich ihre Lanzen.
„Er kennt Niths Namen!“ sagte einer der Männer. „Und er sieht nicht aus wie ein Moradone.“
„Aber sie reiten Moradonenpferde!“ warf ein anderer ein. „Nur - wer würde schon eine Frau aussenden, um ein Heer zu bespitzeln?“
„Das könnte ein Trick sein“, meinte ein dritter. „Ich würde diesen Moradonenhunden alles zutrauen!“
„Jetzt reicht’s aber!“ sagt Yorn scharf. „Wäre ich ein Spion, würde ich garantiert nicht auf einem moradonischen Pferd kommen und schon gar nicht so sorglos in eure Falle reiten. Also, bringt uns zu Nith, damit diese Posse hier ein Ende hat!“
„Wir werden ja sehen!“ knurrte der Anführer. „Schaffen wir sie ins Lager.“
Yorn und Vanea wurden hochgezerrt. Yorn warf ihr einen beruhigenden Blick zu, doch er sah, dass sie die ganze Sache eher zu belustigen schien. Sie wurden durch ein Gewirr von Felsen geführt, das sich plötzlich zu einer breiten, ebenen Stelle am Flussufer öffnete.
Einen Augenblick stutzte Yorn.
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