Das Orakel von Antara
Kandon.“
Kandon! Über Yorns Gesicht flog ein schmerzlicher Schatten. Kandon, der treue Freund und Gefährte vieler Gefahren! So viel war auf Yorn eingestürmt, dass er die Trauer um den Verlorenen hinter den Ereignissen zurückgeblieben war. Doch nun brandete der Schmerz erneut in Yorn auf. Er sah, dass Vanea bei Niths Worten in Tränen ausbrach.
„Kandon ist tot“, sagte er tonlos. „Er starb, um uns zu retten, als uns die Soldaten nach der Vernichtung des Herzens umzingelt hatten. Ich sah nur noch, dass ein Schwert auf ihn niedersauste, dann bin ich geflohen, um nicht auch in die Hände der Wachen zu fallen wie Reven. Reven konnte sich später befreien. Er lebt und ist in Sicherheit, wenn auch schwer verletzt. Aber von Kandon fehlt seither jede Spur. Er muss tot sein, denn sonst hätte ich ihn in den Verliesen des Schlosses gefunden.“
Nith schwieg einen Augenblick. Dann legte er die Hand auf Yorns Schulter und sagte: „Kandon hat das erfüllt, was er sich zur Aufgabe gemacht hatte: dein Leben zu schützen! Das war sein Ziel und seine Erfüllung. Dazu war er von Saadh ausersehen. Er war, wie wir alle, ein Werkzeug des Gottes, und Saadh nahm ihn zu sich, als er des Werkzeugs nicht mehr bedurfte.
Kann es für einen Mann wie Kandon ein größeres Schicksal geben? Er starb für den Freund, den er liebte und verehrte, und für die Freiheit seines Volkes. Mehr hat er nie g ewollt. Sein Name wird weiterleben, so, wie auch er in unseren Herzen weiterlebt. Denkt an ihn und betrauert ihn, aber vergesst darüber nicht, wofür er starb. Noch ist sein und unser aller Ziel nicht erreicht.“
„Ja, du hast recht!“ sagte Yorn seufzend. „Aber erst jetzt merke ich wieder, wie sehr er mir in all der Zeit gefehlt hat. Und ich sehne mich nach Reven. Ich konnte nicht einmal mit ihm sprechen, bevor wir aufbrachen, denn er war noch bewusstlos. Ich hatte nicht einmal Zeit, Sabrete über das Geschehen zu befragen, weil sie noch schlief, als wir fort mussten. So kann ich dir nur berichten, wie die Dinge aus meiner Sicht stehen. Doch das wird reichen, um einen Plan zu fassen, wie wir am besten gegen die Moradonen vorgehen.“
In Niths Zelt hatten sich bereits wieder die sechs Fürsten eingefunden, und Yorn bericht ete in groben Zügen, was Nith durch Schorangars Boten noch nicht erfahren hatte. Während er sprach und die Ereignisse an seinen inneren Augen vorbeiziehen ließ, reifte in Yorn ein Plan, dessen vage Vorstellung schon in ihm schlummerte, seit er von Sabretes Flucht und von der Existenz der beiden moradonischen Konkurrenten erfahren hatte.
„Hört mich an!“ sagte er daher. „Ich glaube, dass es eine Möglichkeit gibt, viel Blutvergießen - besonders in unseren Reihen - zu vermeiden.
Wir wissen, dass die Moradonen verstört und ratlos sind, da Bloors Zauberbann nicht mehr auf ihnen liegt. Viele von ihnen beginnen zu begreifen, welche Grausamkeit sie einem ganzen Volk zugefügt haben. Besonders das einfache Volk, das die wenigsten Vorteile von der Sklavenhaltung hatte, wird schnell bereit sein, darauf zu verzichten. Wenn bekannt wird, dass der König tot und die Zaubermacht gebrochen ist - und wir werden dafür sorgen, dass es bekannt wird! - dürfte zu der allgemeinen Verwirrung noch die Angst vor unserer Rache kommen. Wenn die Leute erfahren, dass ein großes antarisches Heer auf Blooria rückt, werden sie wohl gern ein Friedensangebot annehmen.
Inzwischen wird schon der Machtkampf unter den Anhängern der beiden Rivalen ausg ebrochen sein. Schorangar und seine Leute werden das geschickt schüren. Je mehr sich die moradonischen Streitkräfte mit sich selbst beschäftigen müssen, desto weniger Zeit haben sie, Antaren zu töten. Durch Schorangars Umsicht hat bereits ein großer Teil der Antaren Blooria verlassen. Sie sammeln sich, um zu uns zu stoßen, wenn wir auf die Hauptstadt ziehen. Das gibt uns die Möglichkeit, einen starken Belagerungsring um die Stadt zu ziehen, der Blooria vom Nachschub abschneidet.
Ich habe durch Schorangar erfahren, dass der König Verstärkung aus dem Süden des Landes beordert hatte. Trupps von rebellierenden Antaren stören diesen Anmarsch aus dem Hinterhalt, doch müssen wir sehen, dass wir vor diesem Nachschub die Stadt erreichen. Wir sind stark genug, um die Truppen aus dem Süden aufzureiben. Nach Schorangars Informationen sind es nur zwei- bis dreihundert Mann. Gelingt das, fällt uns Blooria wie eine reife Frucht in die Hände.
Die Moradonen
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