Das Orakel von Antara
fließt das gleiche nivedische Blut wie in den deinen, und ich kam nicht, um das Blut meiner Stammesbrüder zu vergießen. Der Mann, der mich großzog, der Vater meines Gefährten und Bruders hier, fand mich im Schnee, als ich ein wenige Monate altes Kind war. Damals hatten die Moradonen einen der Stämme der Niveder überfallen, und jemand hatte mich auf der Flucht vor ihnen mit sich genommen.
Erst vor wenigen Wochen erfuhr ich, dass Loran, der mich aufzog, nicht mein Vater ist, sondern dass ich ein Niveder bin. Alle Antaren wissen, dass die Moradonen besonders die Niveder versklaven wollen, und darum kam ich, um für mein Volk zu kämpfen. Und da mein Ziehbruder mich nicht verlassen wollte, begleitete er mich mit demselben Wunsch, obwohl er ein Gurane ist. Man nennt mich Yorn und mein Bruder heißt Reven. Wenn ihr uns bei euch aufnehmt, sind wir bereit, Blut und Leben für die Niveder zu geben!“
„Deine Geschichte klingt recht wahrscheinlich“, sagte der Priester nachdenklich. „Viele Flüchtlinge kamen in jenen Jahren in der Kälte um, als die Stämme der Antaren noch in der Ebene wohnten und zahlreicher waren. Zu dieser Zeit gab es eine Reihe außergewöhnlich kalter Winter, und wem die Flucht gelang, erfror oft in den heftigen Schneestürmen. Es mag sein, dass du ein Antare bist, und dein Aussehen ist das eines Niveders. Aber wer sagt uns, dass du nicht ein in der Sklaverei geborener Abkömmling unseres Stammes bist, den die Feinde mit der Freiheit köderten, wenn er sein Volk verrät? Nein, junger Mann, nur auf dein Wort hin wird dir niemand von uns Glauben schenken!“
„Wenn ihr meinem Wort nicht traut, welchen Beweis könnte ich euch wohl geben? Ich habe nur das Wort des Vaters und meine Gestalt zum Beweis meiner Herkunft. Doch wie könnte ich an dem zweifeln, was ein Mann mir mitteilte, der mir zwanzig Jahre lang nur Liebe und Güte bewies? Aber da das schwerlich für euch als Beweis gilt, fragt ihn da!“ Er deutete mit dem Kopf auf die Statue Saadhs. „Der Gewaltige mag entscheiden, ob ich die Wahrheit sprach oder nicht!“
Sinnend nickte Nith mit dem Kopf. „Ein Gottesurteil! Gut, wenn du dich dem Spruch Saadhs unterwerfen willst, so soll es so geschehen. Aber bedenke noch eines: Fällt sein Urteil gegen dich aus, so wirst du sterben, und auch deinen Bruder werden wir töten. Darum soll auch er gefragt werden, ob er mit deiner Wahl einverstanden ist. Sprich, Lorans Sohn!“
„Ich fürchte das Urteil Saadhs nicht!“ antwortete Reven fest. „Denn da Yorn die Wahrheit sagte, wird uns der Zorn des Gottes nicht treffen. Es geschehe, wie mein Bruder es wünschte.“
„Gut! Da du es auch so willst, so soll es sein!“ bestimmte der Priester. „Und ich entscheide, dass ein Zweikampf das Urteil des Gottes verkünden soll. Da ich jedoch nicht will, dass einer unserer Männer sein Leben gibt, soll es ein Ringkampf sein. Siegt Yorn, so hat der Gewaltige erklärt, dass ihr die Wahrheit gesagt habt, unterliegt er dem von mir erwählten Kämpfer, so gilt es als erwiesen, dass ihr Verräter seid, denn sonst hätte der Gott seine Hand über euch gehalten. Dann wird Yorn durch die Hand seines Bezwingers sterben, und Reven stoßen wir in die Verräterschlucht. Nehmt ihr diese Bedingungen an?“
„Ja, damit sind wir einverstanden“, sagte Yorn ruhig.
„Kandon!“ rief da Nith, und sogleich drängte sich ein Mann durch den Kreis der Umstehenden.
Reven e rschrak. Der erwählte Kämpfer mochte nur um einige Jahre älter sein als Yorn und hatte nur wenig mehr als seine Größe. Doch als er nun sein grobwollenes Hemd abwarf, enthüllte er gewaltige Schultern und eiserne Muskelstränge. Obwohl Yorn keineswegs schmächtig war, wirkte er gegen diesen Koloss wie ein Knabe. Auch Yorn spürte, wie ihm beim Anblick seines Gegners das Blut aus den Wangen wich. Diesen Hünen konnte er nicht besiegen! Wenn ihm nun der Gott nicht half, waren er und Reven verloren.
„Das kannst du nicht schaffen!“ raunte Reven Yorn zu. „Zeig ihnen das Zeichen, oder wir sind des Todes! Du hast mich zwar meistens im Ringkampf besiegt, weil du gewandter bist als ich. Aber gegen diesen Bullen nützt dir auch deine Geschmeidigkeit nichts. Bekommt er dich zu fassen, zerdrückt er dich wie eine reife Frucht. Und er wird dich fassen, denn deine Glieder sind taub von der Nacht in Fesseln. Also sag' jetzt endlich, wer du bist!“
Doch Yorn schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war bleich, aber seine
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